Skip to main content

Der Cop, die Putzfrau und der unterschwellige Dreck von Suburbia - "In Aufruhr"

 Ruby Wright hat Pläne: Sie möchte aufs College gehen und Lehrerin werden. Doch zunächst einmal steht sie vor Hindernissen - dass sie kein Geld hat und aus dem Armenviertel South Central Los Angeles kommt, ist fast schon das geringste. Ruby ist schwarz, und in der US-Gesellschaft der späten 50-er Jahre wird ihr gerade mal ihr derzeitiger Job zugestanden: Als Putzfrau in den weißen Suburbs, ständig konfrontiert mit dem allgegenwärtigen Rassismus. Zwar gärt es in South Central, doch die politischen Reden vom Kampf für Veränderung werden als Männersache gesehen - da ist ihr Freund Joseph keine Ausnahme.

Doch richtig in der Klemme steckt Ruby, als sie zu ihrer Lieblingskundin geht und nur die verstörte Tochter im Garten vorfindet, offensichtlich alleine. Statt ihrer Arbeitgeberin stößt sie in der Küche nur auf eine Blutlache - und als sie die Nachbarin alarmiert und die Polizei gerufen wird, wird Ruby erst mal festgenommen. 

Der Detective, der sich um den Vermisstenfall kümmert, ist in der Welt der Vororte selbst ein Außenseiter, auch wenn er die "richtige" Hautfarbe hat: Mick Blanke ist nach einem Skandal im heimischen Revier in Brooklyn nach Kalifornien versetzt worden. Mit irischen und italienischen Gangs kennt er sich aus, in der Welt der Vorstadtfrauen aber fremdelt er nicht nur des ungewohnten kalifornischen Klimas wegen. Schnell wird ihm klar - um an die Geheimnisse dieser Welt scheinbar privilegierter und oft schwer unglücklicher Frauen zu kommen, braucht er Insider-Informationen - und Ruby, für die weißen Frauen oft so unsichtbar wie ein Möbelstück, könnte vieles herausfinden.

Doch Ruby ist aufgrund ihrer Erfahrungen erst einmal höchst misstrauisch. Dass der weiße Polizist in South Central bei ihr auftaucht, bringt sie zudem in Spitzel-Verdacht. Doch da sind auch die tausend Dollar Belohnung für die Aufklärung des Falls - Geld, mit dem sie ihren Traum vom College-Studium erfüllen könnte.

Mit ihrem Buch "In Aufruhr" setzt Inga Vesper gleich mehrfach auf Kontraste. nicht nur, dass eine junge schwarze Frau und ein zumindest älterer weißer Mann gemeinsam ermitteln, der Profi und die zunächst unwillige Amateurdetektivin, dass Großstadt und scheinbare Suburbia-Idylle in Gegensatz gestellt werden.  Die Aufbruchs- und Wandelstimmung der 60-er Jahre sind schon zu erahnen, doch noch ist die Gesellschaft betonhart in Traditionen und Regeln verwachsen, die auch die Welt der Männer und der Frauen klar teilt. und bei den Hausfrauen in Suburbia ist längst nicht die heile Welt,die Poollandschaften und der perfekt geschorene Rasen von außen vermuten lassen. Da werden Psychopharmaka verschrieben, damit unglückliche, angeblich "frigide" Frauen so als Ehefrauen "funktionieren" wie sie sollen, werden Kunstkurse zum Eskapismus aus der Langeweile des Alltags, herrscht auch unter den Frauen gnadenloser Konkurrenzdruck und Abgrenzung nach unten.

Auch wenn es vordergründig vor allem um den Vermisstenfall geht, zeichnet die Autorin auch das Sittenbild einer Gesellschaft, die sich seitdem zwar deutlich verändert hat. Rassismus und Sexismus dagegen sind noch längst nicht überwunden - insofern ist auch der Blick in die späten 50-er weiterhin voller Aktualität. Vor allem Ruby ist eine sympathische Protagonistin, die im Laufe des Buchs immer mehr an Format gewinnt. Spannende Unterhaltung mit interessanten Charakteren.

Inga Vesper, Im Aufruhr

Kindler Verlag 2021

384 Seiten, 22 Euro

 978-3-463-00022-0

Comments

Popular posts from this blog

Neuer Fall und neue Liebe für Hulda Gold

 Anne Stern schickt mit dem Roman "Die Lichter der Stadt" die Hebamme Hulda Gold bereits zum sechsten Mal auf Ermittlungen im Berlin der 1920-er Jahre. Denn auch wenn das Aus der wechselhaften Beziehung zu einem Kriminalbeamten schon eine Weile her ist - Hulda kann es einfach nicht lassen, sich einzumischen, wenn einer ihrer Schützlinge in Not scheint.  Dabei ist "Fräulein Gold" selbst alleinerziehende Mutter. Seit dem Vorgängerroman "Rote Insel" ist sie zu einer  Frauenberatungsstelle am Nollendorfplatz gewechselt und trauert der Arbeit, ja Berufung, als Hebamme nach. Doch wie kann sie ihren geliebten Beruf bei Tag und Nacht ausüben, wenn sie auch noch die dreijährige Meta versorgen muss? Schon der Dienst in der Beratungsstelle kann kompliziert werden. In "Die Lichter der Stadt" ist mittlerweile das Jahr 1929 angebrochen. Um den Nollendorfplatz herrscht diverses, manchmal wildes Leben. Doch auch Liebe liegt in der Luft: Huldas väterlicher Freund

Mysogynie und perfekte Ehefrauen

 Hinter der perfekten Kleinstadtidylle kann die Ehehölle lauern. Doch die bekommt keiner mit, bis die junge Mutter Melissa in Carla Kovachs Thriller "Die letzte Stunde" im eigenen Heim brutal ermordet wird. Die Obduktion der Toten weckt bei der leitenden Ermittlerin Gina Harte Argwohn - Melissa weist Spuren von Misshandlungen auf, die auf mehr als einvernehmliche kinky Sexspiele mit Ehemann Darrel hinweisen. Harte, die selbst einen gewalttätigen Ehemann hatte, ist sofort alarmiert. Doch der erste Fall, den sie selbständig leiten darf, hat es in sich: Der Ehemann, den sie nur zu gerne als Tatverdächtigen sehen würde, hat ein Alibi. Der Täter scheint mit großer Umsicht vorgegangen zu sein, DNA-Spuren gibt es nicht und es verdichten sich Hinweise, dass er einen Schutzanzug getragen hat, ähnlich dem der Spurensicherer. Zudem finden die Ermittler ein Handy, das Hinweise auf eine Affäre der Toten gibt. Ist der Lover der Mörder, weil Melissa ihren Ehemann nicht verlassen wollte? Und

Tödliche Zugfahrt zur Weihnachtszeit

  Mit dem Titel "Mord im Christmas Express" hat Alexandra Benedict gleich das Thema und die Messlatte ihres Weihnachtskrimis hoch angesetzt. Denn wer denkt da nicht gleich an die britische Krimi-Queen Agatha Christie und den "Mord im Orient-Express", der Meisterdetektiv vor solche Herausforderungen stellt? Und der obendrein in gleich zwei Verfilmungen als hochkarätig besetztes spannendes Kammerspiel beeindruckte. Da werden jedenfalls gleich Assoziationen und Erwartungen geweckt. Die Herausforderungen, vor denen Benedicts Protagonistin Roz steht, sind nicht nur dem Fall geschuldet. Denn eigentlich ist die Polizistin frisch pensioniert. Farewell, Metropolitan Police, hello Ruhestand mit gerade mal 59 Jahren, dafür aber voller Vorfreude auf das Enkelkind, das schon bald geboren werden soll. Ein wenig hofft Roz, dass der neue kleine Mensch auch hilft, das Verhältnis zu ihrer Tochter zu entspannen. Die kam bei der alleinerziehenden Mutter häufig zu kurz, ganz abgesehen v