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Showing posts from December, 2022

Exzentrische Frauen, vielleicht auch Mörderinnen

 Mit "Tea Time" ist Ingrid Noll irgendwie zu ihren Anfängen zurückgekehrt: Was "Die Apothekerin" einer ihrer frühen Erfolge, ist die Ich-Erzählerin Nina als Apothekenhelferin in der gleichen Branche. Die junge Frau aus einer Kleinstadt an der Bergstraße pflegt ihre Spleens - ebenso wie ihre fünf Mitstreiterinnen aus dem "Club der Spinnerinnen". Ninas Freundin Franzi etwa kämmt mit Vorliebe Teppiche, Supermarktkassiererin Jelena deutet Wolkenbilder und die Lehrerin Corinna steigt als Voyeurin in fremde Gärten ein. Nina wiederum fotografiert mit Vorliebe Unkräuter, wickelt sich im Bett in einen dichten Kokon - eine für die Partnersuche eher hinderliche Angewohnheit und entwickelt im Laufe des Buches eine leichte kleptomanische Ader. Es wäre kein Ingrid Noll-Kriminalroman, wenn nicht auch mörderische Instinkte und unangenehme Männer zur Handlung gehörten. Der unangenehme Mann heißt in diesem Fall Andreas Haase, ist der Ex von Jelena und der Vater ihrer kleine

Hulda Gold und ihre persönlichste Herausforderung

 Um Verbrechen geht es in Anne Sterns Büchern um die patente Hebamme Hulda Gold im Berlin der Weimarer Republik immer eher am Rande - im Mittelpunkt steht die junge Frau auf der Suche nach Selbstverwirklichung, aber auch nach Liebe und Anerkennung. Forsch, aufgeweckt und engagiert geht es der jungen Hebamme immer auch darum, das Schicksal der ihr anvertrauten Wöchenrinnen zu verbessern. Dabei geht  es immer auch um Frauenrechte und die Forderung nach Gleichheit, auch wenn Hulda nicht als entschiedene Feministin auftritt - als "Sonntagsfeministin" bezeichnet sie sich im Gespräch mit ihrer Freundin Greta, einer kommunistischen Armenärzten. Im nunmehr fünften Band der Serie steht Hulda vor ihrer persönlichsten Herausforderun: Sie ist schwanger, und angesichts des Unfalltod ihres Verlobten auf sich gestellt. Die Eltern des Kindsvaters, die die Beziehung missbilligt hatten, sind keine Hilfe.  Ihren Posten als Hebamme in der Frauenklinik musste sie aufgeben. Glück im Unglück: Greta

Zwischen Scheidung und Mordermittlung in der bayrischen Provinz

  Es muss schon Spaß machen - oder sollte ich schreiben: Es miast scho a Gaudi sein - "Herzschuss" von Andreas Föhr zu lesen. Als Hörbuch, gesprochen von Michael Schwarzmeier mit eindeutig bajuwarischer Lautfärbung ist der Cozy Krimi aus dem bayrischen Miesbach aber noch mal ein besonderes Schmankerl und ein klarer Ohrenschmaus. Für Nordlichter eine Beruhigung: Auch wer nördlich des Weißwurstäquators aufgewachsen ist, wird hier ohne Übersetzungs-App klar kommen. Dass es sich bei den Kriminalromanem um den Miesbacher Kommissar Wallner um eine Serie handelt, habe ich beim Nachlesen festgestellt. Erfreulicherweise ist es aber überhaupt nicht notwendig, bereits mit den Protagon die Vnisten vertraut zu sein und ihre Lebensgeschichten und Beziehungsgeflechte zu kennen. Nach meiner ersten Begegnung mit Wallner, seinem hochbetagten und schlitzohrigem Opa Manfred und dem nichr weniger ausgebufften Polizisten Kreuthner kann ich mir aber gut vorstellen, dass Föhr eine solide Fanbasis ha

guter plot, unglaubwürdige Hauptfigur

  Der Finnland-Krimi "Die Kälte der Wahrheit" von Leena Lehtolainen lässt mich mich zwiespältigen Gefühlen zurück. Einerseits gefällt mir die Beschreibung der Landschaft im hohen Norden Finnlands, die Tatsache, dass in der großen Weite gleichwohl ein Plot wartet, der an ein Locked Room-Szenario erinnert. Ein Plot, der zudem spannend ist und für einige Wendungen und Überraschungen sorgt, dabei den Spannungsbogen gekonnt hält. Die Beschreibung eines kleinen aber ultrafeinen Luxushotels mit innovativer Architektur und großer Geheimhaltung liefert ein reizvolles Szenario, und obendrein gibt es Verstrickungen zu russischen Kreisen, wo Legales und Illegales gleitend ineinander übergehen. So weit das Positive. Allerdings hat die Autorin mit der Figur der Leibwächterin Hilja wirklich übertrieben. Ich habe es ja schon wiederholt in anderen Postings geschrieben: Ich kann mich einfach nicht dafür erwärmen, wenn die Hauptfigur die Mutter (oder der Vater) aller Schmerzen ist, vom Schicksa

Tödlicher Lover aus dem Netz

 Love kills, das sang schon Freddy Mercury. In "Wir zerstören dich" von Peter James stehen finanzieller Ruin oder gar ein grausamer Tod an der Stelle der erhofften Liebe. Detective Superintendent Roy Grace ermittekt zu einem angeblichen Suizid, der bei näherem Hinsehen aber Verdacht erregt. Denn die wohlhabende ältere Witwe, die erhängt in ihrer Wohnung gefunden wurde, hatte über eine Online Dating-Agentur einen neuen Partner gesucht - und vermeintlich gefunden. Bis erste Geldwünsche geäußert wurden und die misstrauisch gewordene Frau Bilder ihres Online-Lovers durch eine Suchmaschine laufen ließ. Das Ergebnis: Unbekannte haben die Identität beziehungsweise Profilfotos eines Motivationsredners gestohlen, der ganz bestimmt keine Frau sucht, ist er doch glücklich mit seinem Ehemann verheiratet. Untersuchungen im Umfeld der Toten ergeben: Die Münchner Polizei ermittelt gerade zum Tod ihrer Schwester, die aus ihrem Fenster gestürzt wurde. Auch sie hatte über eine Online-Agentur e

Ermittlungen auf Bornholm

 Die Romane von Katrine Engberg gehören zu den Büchern, die man als Freund gut geschriebener skandieinen navischer Krimikost eigentlich unbesehen kaufen kann: Athmosphärisch dicht, nordisch-klar und mitunter unterkühlt, gut beobachtend, mit schlüssigen und komplexen Figuren. Zudem steht mit dem Ermittlerduo Annetter Werner und Jeppe Korner ein glaubwürdiges und überzeugende Paar Protagonisten bereit, das seit dem ersten Band der Serie eine Entwicklung durchlaufen konnte und alles andere als statisch ist. So auch in "Wintersonne", dem neuen Band der Kopenhagen-Serie, die gleich zwei Besonderheiten aufweist. Denn zum einen spielt der größte Teil der Handlungen auf Bornholm. Zum anderen ermittelt Annette Werner erstmals alleine. Jeppe Korner hat nach dem Abbruch der komplizierten Beziehung zu seiner Kollegin Sara - die er gleichwohl noch liebt - eine Auszeit genommen. Weg aus Kopenhagen, weg vom Polizistenleben. Er arbeitet vorübergehend als Holzfäller - ausgerechnet auf Bornhol

Kriminelles Syndikat in der Weimarer Republik

 Historische Kriminalromane aus dem Berlin der 1920-er und frühen 30-er Jahre trenden - nicht zuletzt dank der TV-Serie Babylon Berlin. In dieser Zeit spielt auch "Blutiger Schnee" von Michael Jensen, in dem es um eine Berliner Familie und ihr kriminelles Syndikat gilt. Manches, was Leser der Gideon Rath-Reihe kennen, taucht wieder auf - die Ringvereine etwa, historische Figuren wie der Kommissar Gennat und natürlich das politische Klima einer zerrissenen Zeit. Familie Sass will im Opiumhandel mitmischen, mit chinesischen Kontaktleuten wird eine Handelsroute aufgebaut, doch die Aktion droht zum Verlustgeschäft zu werden, da die Schmuggeltransporte immer wieder überfallen werden. Amerikanische Gangster sind aufmerksam geworden auf das, was sich an der Spree so tut und wollen mitmischen beziehungsweise das Geschäft mit Opium und Heroin in die Staaten holen. Und Dutch Schultzund die Vertreter der kosher nostra haben ganz andere Methoden, als sie der Sass-Clan im vergleichsweise

Biznes, Ambitionen, Talmud-Weisheiten - Der Rabbi ermittelt weiter

 Er kann es nicht lassen: Rabbiner Henry Silberbaum aus Frankfurt wirft als Hobbydetektiv einmal mehr Einblicke in die Abgründe seiner Gemeinde. Diesmal geht es um Galina Gurewitz, die spurlos verschwunden ist. Ihr 30 Jahre älterer Ehemann Semjon, der als "Biznesmen" auf etwas undurchsichtige Weise zu Reichtum gekommen ist, hat allerdings keine Vermisstenanzeige erstattet und gibt sich auf Nachfragen eher schroff.  Galinas Mutter scheint nach ersten Sorgen ebenfalls seltsam gleichgültig und macht keinen Druck mehr, die Verschwundene zu suchen. Doch da hat sie die Rechnung ohne Rabbi Silberbaum gemacht! Zusammen mit seinem Freund Kommissar Berking von der Frankfurter Polizei kann er es nicht lassen, auch im zweiten Band von Michel Bergmanns Reihe "Der Rabbi und der Kommissar" zu ermitteln. Diesmal heißt es:"Du sollst nicht begehren" - und wenn Bergmann sich an den zehn Geboten orientiert, dürfte es für die Beiden noch einiges zu tun geben. Motive für ein ni

Albtraum unter Freunden

Es ist Silvester, und fast alles wie immer bei den befreundeten Ehepaaren Lollo und Max, Frederik und Nina. Wie jedes Jahr verbringen sie die letzte Nacht des Jahres zusammen, auch wenn sie sich im Grunde auseinandergelebt haben und nicht mehr viel zu sagen haben. Doch insbesondere die jahrzehntelange Freundschaft der Frauen, Lollo, Nina und Malena scheint der Kitt zu sein, der zumindest zweimal im Jahr das Grüppchen zusammenhält, Silvester eben und Mittsommernacht. Das ist der Ausgangspunkt von Malin Stehns Psychothriller "Happy New Year" Diesmal allerdings verlässt Nina ihr Zuhause mit gemischten Gefühlen, denn die großem Töchter feiern dort erstmal alleine eine Party, und Nina traut Lollos Tochter Jennifer nicht so recht über den Weg, die schon immer das Risiko liebte und das eigene Kind, wie sie fand, auf falsche Gedanken brachte.   Die Silvesterparty im Haus des wohlhabenden Immobilienmaklers Max und seiner statusbewussten Frau Lollo ist für Fredrik nur mit viel Alkohol

Nichts ist, wie es scheint

 Taifun Coban ist ein Spezialist des LKA Kiel und kennt sich insbesondere mit der Idenitfizierung unbekannter Toter aus. So landet er auch im Dorf Harmsbüttel, wo ein unbekannter Toter in einer Baugrube gefunden ist. Sein Ansprechpartner vor Ort ist der Dorfpolizist Wernersen - und die Zusammenarbeit zunächst mal gewöhnungsbedürftig: Coban findet den Beamten schlafend auf seiner Terasse statt auf dem Revier, Besprechungen finden gerne im Wohnzimmer der Wernersens statt, sprich: die professionelle Haltung lässt zu wünschen übrig. Doch nicht nur die. Wernersen neigt zu rassistischen Bemerkungen, schert Türken und Araber über einen Kamm und reagiert erst einmal befremdet auf seinen türkeistämmigen Kollegen. Erfreulicher ist die Zusammenarbeit mit der Kollegin Fanta Braun, wobei die humorvolle Frau Coban fast zu gut gefällt, schließlich ist sie verheiratet. Allmählich wird deutlich, dass der Tote im Zusammenhang mit einem Jahre zurückliegenden Fall zu tun haben könnte. Damals kam bei einem

Dichter, Trinker und Destillen

 Der Titel "Ein Schuss Whiskey" macht klar - Carsten Sebastian Henns dritter kulinarischer Kriminalroman spielt auf der grünen Insel, Irland. Dazu hätte es nocht nicht einmal das Kleeblatt  auf der Coverseite gebraucht. Schließlich wird in Irland bekanntlich Whiskey gebrannt - mit einem e-Unterschied etwa zum schottischen Whisky. Um die Konkurrenz zwischen Iren und Schotten in Sachen Hochprozentiges, um die immer bösen Engländer und die Rolle des Whiskeys für die irische Seele geht es hier denn auch - unter anderem. Denn daneben steht eine andere irische Spezialität im Mittelpunkt, nämlich Dichtung und Schriftstellerei. Und natürlich der eine oder andere Mord. Janus Rosner sucht in Dublin Inspiration. Er will einen Kriminalroman schreiben, doch er leidet unter einer Schreibblockade. Dagegen sollte Whiskey helfen, viel Whiskey. In vino veritas, und im Rausch vielleicht die zündende Idee für den Roman? Zwischen trunkenen Dialogen glaubt Janus zu halluzinieren, als er eine wunde

Totgeglaubte leben länger

 Es mag Menschen geben, denen ist der Berliner Kriminalkommissar Gereon Rath nur als Hauptfigur der Fernsehserie "Babylon Berlin" ein Begriff ist. Bei der Lektüre von Volker Kutschers neuem Rath-Roman "Transatlantik" wären die vermutlich verwirrt. Nicht nur, weil im nunmehr neunten Band der Reihe bereits das Jahr 1937 angebrochen ist. Statt der späten Weimarer Republik werden in Nazi-Deutschland immer mehr Freiräume eingegrenzt. Für Charlotte Rath, die Frau des Kommissars, ein zunehmend unerträglicher Zustand - sie verabscheut die Nationalsozialisten. Und anders als in der Fernsehserie ist sie nicht Proletarierkind und Gelegenheitsprostituierte, sondern eine preußische Beamtentochter, die im nationalsozialistischen Deutschland ihren Beruf als Juristin nicht länger ausüben kann. Doch auch Leser haben Vorteile, wenn sie die vorangegangenen Bücher, vor allem den unmittelbaren Vorgängerband "Olympia" kennen. Andernfalls wird es in dem komplexen Plot zunehmend

Queerfeindlicher Terror und psychologischer Tiefgang

 Der Anruf seines Kollegen und Arbeitspartners hätte für den finnischen Polizisten Henrik Oksmann zu gar keinem schlechteren Zeitpunkt kommen können: Auf einen Nachtklub, der auch Treffpunkt der queeren Szene der Stadt Pori ist, ist ein Bombenanschlag verübt worden. Es gibt fünf Tote. Was Oksmann vor seinen Kollegen um jeden Preis verheimlichen will: Er war selbst in dem Klub, in Frauenkleidern, und er hat ihn offenbar nur kurz vor der Tat mit einem anderen Mann verlassen.  Mit dem Titel "Was wir verbergen" hat der finnische Autor Arttu Tuominen bereits das Leitmotiv gewählt. Unter der Oberfläche brodelt hier so manches Geheimnis, nicht nur Oksmanns Homosexualität. Fast alle Proagonisten haben etwas zu verbergen, sind gezeichnet von einer Vergangenheit voller Konflikte. Im Vorgängerband "Was wir verschweigen", war Oksmann noch ziemlich unsympathisch gezeichnet, ein Einzelgänger, dessen Verhalten an Zwangsstörungen erinnert und der seinem Kollegen Jari Paloviita, der