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Showing posts from 2021

Unglücklich sind hier alle - "was wir verschweigen"

  Aus dem berühmten Anfangssatz von "Anna Karenina" wissen wir, dass jede unglückliche Familie auf ihre eigene Art unglücklich ist. In Arttu Tuominens Kriminalroman "Was wir verschweigen" gilt das für so ziemlich jede einzelne Romanfigur. Hier hat jeder seinen Packen Unglück durchs Leben zu schleppen, Geheimnisse und dunkle Erinnerungen, die er oder sie verschweigt. Einen Teil dieser Geheimnisse deckt Tuominen in seinem Roman auf und setzt dabei mehr auf psychologische Spannung und Einblicke in gequälte Persönlichkeiten als auf Gewalttaten und Action. Der Fall, zu dem die Ermittler des finnischen Pori gerufen werden, scheint ziemlich klar: In einer abgelegenen Wochenendhütte fand ein Gelage statt. Ein Mitglied der Festgesellschaft liegt plötzlich tot am Boden, mit mehrerer Messerstichen im Rücken. Die Zeugen haben im Vollrausch nichts mitbekommen. Ein Mann, ebenfalls volltrunken, wird  mit blutiger Kleidung im Wald gefunden. Fall gelöst? Als Jari Paloviita, kommissa

Profikiller auf der Suche nach Läuterung

 Hallgrimur Helgason  und Quentin Tarrantino müssen Geistesverwandte sein. Zumindest dürfte der islaändische Autor den amerikanischen Regisseur sehr schätzen, denn er setzt ihm in seinem Roman  "Zehn Tipps, das Morden zu beenden und mit dem Abwasch zu beginnen" nicht nur ein kleines literarisches Denkmal,  auch die Mischung aus Gewaltexzessen und schwarzen Humor ähnelt den Filmen Tarrantinos. Ich-Erzähler des Romans, dessen Titel auf jeden Fall schon mal ein Eyecatcher ist, ist Tomek, genannt Toxic, ein lange Zeit sehr erfolgreicher Profikiller der kroatischen Mafia in New York mit traumatischer Vergangenheit im jugoslawischen Bürgerkrieg. Toxic war mit 66 Auftragsmorden höchst erfolgreich - bis er dann ausgerechnet einen FBI-Beamten umbringt. Plötzlich wird ihm in New York der Boden unter den Füßen heiß, er muss dringend verschwinden und auch seine Auftraggeber sind alles andere als angetan, dass ihnen nun das FBI ordentlich Ärger machen dürfte. Toxic ist schon auf dem Flugh

Wettlauf gegen den Serienmörder

 Wahrscheinlich könnte jeder und jede eine ganz persönliche Playlist zusammenstellen von Liedern und Musikstücken, die für das eigene Leben eine besondere Bedeutung haben, die Erinnerungen wachrufen, Gefühle, Gerüche und geradezu eine Botschaft zu enthalten scheinen. In Sebastian Fitzeks neuem Psychothriller „Playlist“ ist das ganz ähnlich – hier ist eine Liste von Songs einer Playlist und ihre Entschlüsselung für ein Entführungsopfer die einzige Hoffnung, vielleicht doch noch zu überleben. War Fitzeks vorangegangenes Buch ein heiter-melancholischer Unterwegsroman, kehrt er mit Playlist zu seinem bekannteren Genre zurück – mit einer Besonderheit: Die 15 Songs der Playlist, von denen das Schicksal der entführten Feline abhängt, wurden extra für das Buch komponiert, „aber nicht als Auftragsproduktion, sondern sie sind vom Roman unabhängige, selbständige Kunstwerke“, wie Fitzek in seinem Nachwort schreibt. Inspiriert von der Handlung, spiegelten sie die Themen des Buches wider. „Playlist“

Intrigen in der Verlagsbranche - In ewiger Freundschaft

 Von wegen ewige Freundschaft! Eine seit Schulzeiten bestehende Freundesclique teilt in Nle Neuhaus zehntem Taunuskrimi so manches Geheimnis und neigt zu Intrigen, die auch vor den Freunden nicht haltmachen.  Liegt es daran, dass die Schöngeister und Intellektuellen von einst in der Verlagsbranche gelandet sind und es nicht allein um Literatur, sondern auch harten kommerziellen Druck geht? Taunus-Ermittlerin Pia Sander will eigentlich nur ihrem Ex-Mann einen nicht ganz uneigennützigen Freundschaftsdienst erweisen. Der ist nämlich unter die Kriminalschriftsteller gegangen und hat nun schon das zweite Buch über einen Fall geschrieben, mit dem er als Leiter der Frankfurter Rechtsmedizin befasst war und in dem Eingeweihte sehr leicht Parallelen zu Pia und ihren Kollegen erkennen.  Das allein könnte ja noch der Eitelkeit schmeicheln, doch dass der Pathologe sein zweites Buch ausgerechnet "in Liebe" Pia widmete, hat deren jetzigen Ehemann nicht gerade begeistert.  Henning Kirchhoff

Mobbing, ein verschwundenes Bild und neue Ermittlungen im Auftrag ihrer Majestät

 Wozu royale Termine manchmal gut sind - Queen Elizabeth II, stutzt, als ihr Blick bei einem Navy-Termin  auf ein paar dekorativ aufgehängte Bilder fällt. Hing das Bild der königlichen Yacht "Britannia" nicht jahrelang vor ihrem Schlafzimmer? Und wann verschwand "das schreckliche kleine Ding", wie das nicht sonderlich überragende Werk von Prinzgemahl Philipp despektierlich genannt wird? Ihre Majestät will es genau wissen - und da eine Königin fortgeschrittenen Alters kaum unauffällig detektivische Laufarbeit machen kann, verlässt sie sich in S.J. Bennetts Cozy-Krimi "Die unhöfliche Tote" einmal mehr auf ihre tatkräftige stellvertretende Privatsekretärin Rozie Oshodie. Das Rätsel um das künstlerisch nicht sonderlich wertvolle Bild, das für die Queen gleichwohl hohen emotionalen Wert hat, lässt sich noch ohne größeres Aufsehen angehen. Doch wie schon im Fall eines toten Russen im Kleiderschrank rückt auch im zweiten Band um die Queen als Hobby-Detektivin die

Briefroman für Fans der Gereon Rath-Reihe

 Als Serie "Babylon Berlin" ein Hype hat die Romanvorlage von Volker Kutscher zu dem in der Spätphase der Weimarer Republik und den ersten Jahren des Dritten Reichs ermittelnden Kommissars Gereon Rath ebenfalls treue Fans. Wer den bislang letzten Band der Reihe gelesen hat, zweifelt angesichts der Entwicklung in "Olympia", ob eine Fortzsetzung dieses achten Bandes überhaupt möglich ist. Düster, schillernd, brutal und voller Herausforderungen ist die Welt, in der sich Rath und seine Frau Charlotte bewegen. Und die größte Herausforderung von allen bleibt dabei womöglich: Wie bleibt man ein anständiger Mensch in einer Zeit, in der Fanatismus, Naziideologie und blinder Gehorsam auch in Kollegenkreisen zur neuen Normalität wird? Für Fans gibt es jetzt das gemeinsame Buch "Mitte" von Kutscher und der Illustratorin Kat Menschik. Dabei ist es auf jeden Fall von Vorteil, die Bücher der Gereon Rath-Reihe zu kennen, insbesondere "Olympia". Mit einem Briefro

Nicht nur der Eisbär sorgt für Gefahren

 Was tut  ein liebender Vater und Großvater nicht alles, wenn seine Hilfe gebraucht wird! Trond Lie, verwitweter Kommissar im Ruhestand im norwegischen Bergen, gibt seinen vergleichsweise südlichen Standort auf, um seiner alleinerziehenden Tochter Ingvild unter die Arme zu greifen. Die jongliert in einem Dorf auf Spitzbergen drei Jobs gleichzeitig - da bleibt zu wenig Zeit, sich ausreichend um den vierjährigen Bjarne zu kümmern.  Trond Lie verbringt liebend gerne Zeit mit seinem Enkel - die Polarnacht allerdings macht ihm schwer zu schaffen, und das nicht nur, weil er in der Dunkelheit eine beinahe tragisch endende Begegnung mit einem Eisbären hatte. Auch sonst, so fürchtet er, nähert er sich einem Polarkoller, mit Paranoia, Wutausbrüchen, Halluzinationen - nicht die bestens Voraussetzungen für den normalen Alltag, geschweige denn in einer Krise.  Denn der pensionierte Kommissar sieht sich unversehens nicht nur als Babysitter, sondern als Ermittler gefragt in Hanne Kvandals (ein Pseudo

Gentleman-Spione und Verräter - ein letzter John leCarré

 Ach wie gut, dass John LeCarré bei seinem angesichts des hohen Lebensalters nicht völlig überraschenden, aber gleichwohl bedauerlichem Tod keinen blanken Schreibtisch hinterließ. sondern auch ein Manuskript. Zum 90. Geburtstag des großen alten Gentleman anspruchsvoller Spionageliteratur ist nun "Silverview" erschienen, und auch wenn es nicht ganz mit der Karla-Triologie mithalten kann, hält auch dieses (Hör-)buch, was der Autorenname verspricht. Wieder einmal zeigt LeCarré, wie die Ränke- und Doppelspiele von Agenten und Verrätern den Alltag seines Protagonisten verändern und immer neue Fragen aufwerfen. Ein wenig scheint "Silverview" aus der Zeit gefallen, die Technologie des 21. Jahrhunderts hat zurückzustehen hinter persönlichen Begegnungen und Übergaben von Nachrichten, toten Briefkästen und abhörsicher arrangierten Treffen, man ist als Spion schließlich immer misstrauisch und rechnet mit unerwünschten Beobachtern. Oder ist spätestens seit dem NSA-Skandal bei d

Tod und Intrigen an der Newa

  Es gibt Länder, da kann es für ehrliche Polizisten eine Herausforderung sein, integer zu bleiben. Natalia Iwanowna, Ermittlerin bei der Polizei in Sankt Petersburg, weiß das nur zu gut. So ganz ohne Trickserei kommt auch die Beamtin nicht durchs Leben - um den 18-jährigen Stiefsohn vor der Einziehung zum Militär und möglicherweise einem Einsatz in der Ostukraine zu bewahren, braucht er einen Studienplatz - und dabei zählen Schulnoten weniger als das Bestechungsgeld für den Verantwortlichen an der Hochschule. Ehemann Mischa, ebenfalls Polizist, nimmt die Regeln womöglich etwas lockerer, fürchtet Natalia - und sie weiß nicht, ob ihre Ehe den Verdacht, Mischa könne sich schmieren lassen überleben. Ein neuer Fall lässt der Kommissarin in G.D. Absons (Hör-)Buch "Tod in den Weißen Nächten" allerdings wenig Zeit zum Grübeln. Zena, die Tochter eines schwerreichen schwedischen Industriellen, ist nach einer alkohollastigen Partynacht verschwunden. Eine Entführung ist nicht auszuschli

Endgame in Kopenhagen

 Dass Stefan Ahnhems Kriminalromane nichts für schwache Gemüter sind, hatte ich schon bei den "Würfelmörder"-Bänden gemerkt. Im sechsten Band der Serie um den schwedischen Ermittler Fabian Risk  geht es erneut brutal zu, wenn Ahnhem nach einem privaten Schicksalschlag eneut mit seinem alten Widersacher, dem dänischen Polizeichef Kim Sleizner, aneinander gerät. Und auch die dänische Ex-Polizistin Dunja Hougard, mittlerweile untergetaucht und mit einem geheimen Lauschangriff gegen Sleizner arbeitend, begibt sich in höchste Gefahr.  Etwas ist faul im Staate Dänemark, der einen solchen Polizeichef hat - einen Vergewaltiger und Intriganten, einen Machtmenschen, der weder vor Erpressung noch vor Mord zurückschreckt und der mit einer ähnlich kriminellen Machtelite ehrlichen Ermittlern immer einen Schritt voraus scheint.  Wie ist es überhaupt möglich, dass ein solcher Mensch ungehindert ins höchste Amt innerhalb der Polizei aufgestiegen ist und seine Machenschaften und Methoden schei

Vielversprechender Auftakt einer dänischen TRiologie

 Spätestens seit den Millenium-Romanen von Stieg Larsson stehen skandinavische Kriminalromane und Thriller für eine Mischung aus Spannung und politischer beziehungsweise gesellschaftlicher Brrisanz. Ob es sich um Gewalt gegen Frauen, Fremdenhass und Rassismus oder die wachsende soziale Schere handelt - eine ganze Reihe von Autoren legen den Finger in offene Wunden. Vielleicht ist es kein Zufall, dass die meisten Vertreter dieses Genres zuvor als Journalisten arbeiteten. So auch Kim Faber und Janni Pedersen, die sich mit ihrem Buch "Winterland" ganz wunderbar in diese skandinavische Tradition einbringen. Ist der erste Band einer als Triologie angelegten Reihe ein Krimi oder ein Polit-Thriller? Am Ende werden die Grenzen verwischen, doch spannend, vielseitig und nachdenkenswert ist der Fall der Kopenhagener Polizistin Signe Kristiansen und ihres Kollegen Martin Junckersen, der als Kleinstadtpolizist in seinen Heimatort Sandstedt gewechselt ist, um seinen dementen Vater zu verso

TV-Coup an Heiligabend - Reality-Show

 Es ist Heiligabend und der Gänsebraten wird kalt, weil alle gebannt auf die Bildschirme von Fernsehern, Handies und tablets starren. Eine Reality Show auf allen Kanälen wird zur Abrechnung mit Verantwortlichen für Missstände und Skandale, die sich bisher dem Blick der Öffentlichkeit erfolgreich entziehen konnten: Anne Freytags dystopischer Roman "Reality Show" hat einen interessanten Plot, lässt mich allerdings gespalten zurück. Das Thema und der Plot haben Potential: Was ist, wenn diejenigen, die im Trüben unterwegs sind und ungeheuren Reichtum unsauberen Methoden verdanken  öffentlich zur Rechenschaft gezogen werden? Welche Mittel sind gerecht und zulässig, um Missstände anzuprangern und zu beseitigen? Was kommt dabei raus, wenn "Volkes Stimme" Urteile sprechen kann, in einer Casting Show ganz anderer Art?  Es hat schon etwas von "Brot und Spiele" wenn per "Glücksrad" die Kandidaten ausgesucht werden, die zuvor commando-style in ihren schwer g

Beziehungsgeladener Nordic Noir - "Das Nest

  Katrine Engberg ist ein Name, den ich immer auf den Jahresvorschauen checke: Gibt es wieder einen neuen Kopenhagen-Krimi um die Ermittler Anette Werner und Jeppe Koerner? Denn die Bücher sind nicht nur gut geschrieben in der Tradition literarischer Krimis, ich habe mich auch an diese unglamoureusen aber gerade angesichts ihrer Zweifel und Macken sympathischen Protagonisten erlebt. Ich habe Jeppe durch seine Midlife-Krise begleitet und Anette durch ihren Babyblues. Und trotzdem entwickeln sich die Figuren in jedem Buch weiter. Auch diesmal hat sich das Warten gelohnt. Kopenhagen Coolness ist diesmal allerdings weniger angesagt, auch wenn sich die Ermittler teils im durchgestylten Heim der Besitzer eines Auktionshauses bewegen. Keine Modeszene im eisigen Winter, sondern trügerisch sonnige Sommertage, als sich die Ermittler mit dem Fall des vermissten Oskar beschäftigen. Der 15-Jährige ist der mittlere Sohn der erwähnten Auktionshausbesitzer. Ist er ausgerissen oder wurde er entführt? H

Ein Entführungsfall und eine Geschäftsfrau in der Schuldenfalle - Todsünde

  Touristen aus aller Welt wollen im südafrikanischen Stellenbosch malerisch gelegene Weingüter und heile Welt am Kap kennenlernen. Für die Menschen vor Ort kann die Idylle trügerisch sein. So auch in Deon Meyers neuem Roman "Todsünde" um die Ermittler Bernie Griessel und Cupido Vaughn. Auch diesmal bewegt sich die Handlung in zwei Strängen, die sich erst weit inmitten des Buches verbinden. Griessel und Vaughn sind bei einem hochrangigen Beamten in Ungnade gefallen wegen ihrer Ermittlungen gegen Korruption. Eigentlich sollen sie nicht nur degradiert. sondern in die entlegene Provinz abgeschoben werden - für Griessel Grund zu Sorge. Der trockene Alkoholiker befürchtet, er könnte vor lauter Frust einen Rückfall erleben, Dann allerdings machen andere Offiziere ihren Einfluss geltend - die beiden Ermittler kommen nach Stellenbosch, einem wesentlich angenehmeren Einsatzort. Für die Immobilienmaklerin Sandra Steenberg allerdings ist das idyllyische Stellenbosch allerdings zu einer

Trolle, Fake News und die Suche nach der Wahrheit - "russische Botschaften"

 Journalisten sind eitel und hungrig nach Anerkennung - ganz besonders in der speziellen Blase der Hauptstadt- und Investigativjournalisten. Das ist die Welt, die Yassin Mussarbash in seinem Thriller "Russische Botschaften" beschreibt und die er aus eigener Erfahrung - der Mann arbeitet schließlich in dem Milieu, über das er schreibt - gut kennen dürfte.  Merle Schwalb, die Protagonistin des Buches, ist da keine Ausnahme. Dass sie in das elitäre Investigativteam aufgenommen ihrer Zeitung aufgenommen wird, ist gewissermaßen der Ritterschlag für die ehrgeizige Journalistin. Wie weit die Investigativen von der Allgemeinheit der Redaktion entfernt sind, zeigt sich schon allein am gesiezten Umgang - und das in einer Branche, in der üblicherweise Duzkultur herrscht. Als in einem Neuköllner Restaurant ein Mann von einem Balkon stürzt und buchstäblich neben ihr aufschlägt, wittert Merle eine Story. Erst geht sie von Clan-Kriminalität aus - Neukölln eben. Dann stellt sich heraus, der

Die Suche nach dem Bruder - Rum oder Ehre

 Wenn das mal kein Kulturschock ist: als stoischer Norddeutscher, der nur unter der Dusche oder im Meer weinen kann, auf der Karibikinsel Jamaica. In Carsten Sebastian Henns Mischung aus Küsten- und Karibik-Krimi bricht der Flensburger Martin Störtebecker (nicht verwandt mit dem berühmten Piraten, was er schon ein bißchen bedauert) mit seinen nicht mehr ganz taufrischen 72 Jahren auf. Er erfüllt den letzten Auftrag seines vor kurzem gestorbenen besten Freundes, und so richtig doll sind auch die eigenen Lebensaussichten nicht mehr, wie er nach seinem letzten Check-Up weiß. Also höchste Zeit, doch noch herauszufinden, was mit seinem jüngeren Bruder Christian geschah, der vor 20 Jahren nach Jamaica ging, um vor Ort alles über die Herstellung des bestmöglichen Rum zu lernen. Doch dann gab es keinerlei Lebenszeichen mehr. Die Leidenschaft für Rum, das haben die Brüder gemeinsam. Und dank Christians Begeisterung für Reggae Musik spricht Martin Englisch mit jamaicanischem Akzent, gelernt von

Ermittlungen unter Hillbillies - Unbarmherziges Land

 Es ist ein anderes, ein archaisches Amerika, in das Chris Offutt die Leser in seinem Kentucky-Krimi "Unbarmherziges Land" führt. Der Titel verheißt schon - es geht nicht um skurrile Hillbillies, die in den Hügeln schwarzgebrannten Whisky brennen und ein wenig unterbelichtet sind, da Hochzeiten vorwiegend im engeren Familienkreis stattfinden. Familie und Familienehre wird gleichwohl großgeschrieben, Blutrache gibt es immer noch, und um die Menschen in den Hügeln zum Reden zu bewegen, ist ähnlich herausfordernd, wie das Prinzip der Omertá zu durchbrechen. Weil Familie alles ist, klemmt sich der Militärermittler Mick Hardin hinter einen Fall, der gar nicht seiner ist: Seine Schwester Linda ist Sherriff, die erste Frau, die diesen Job innehat, und manche Gespräche müssen auch heute noch von Mann zu Mann geführt werden in Kentucky. Zudem können die Ermittlungen zum Tod einer Frau, die im Wald gefunden wurde, Hardin von seinem ganz eigenen Dilemma ablenken: Seine Frau ist hochschw

Prinzessinnen in Gefahr? Um Mitternacht ab Buckingham Palace

 Auch die Queen war mal jung - und ehe sie zur britischen Langzeitmonarchin wurde, war sie ein Mädchen, dessen frühe Jugend in die Zeit des Zweiten Weltkriegs fiel. In JB Lawless´ Roman "Um Mitternacht ab Buckingham Palace geht es genau um diese Zeit: London ist den deutschen Luftangriffen  ausgesetzt, und während für den König klar ist, dass sein Platz in der attackierten Hauptstadt ist, sollen die Prinzessinnen Elizabeth und Margareth in Sicherheit gebracht werden - auf einen Adelssitz im neutralen Irland. Nun ist das Nachbarland zwar im Krieg neutral, aber angesichts der Geschichte jahrhundertelanger englischer Herrschaft und des blutigen Bürgerkriegs nach dem Osteraufstand erfreuen sich Engländer im Nachbarland nicht unbedingt großer Beliebtheit. Diskretion wird also groß geschrieben - eine MI5-Agentin begleitet die Mädchen als angebliche Gouvernante, Militär des Freistaats soll rund um das ausgedehnte Grundstück für Schutz sorgen, während der anglorische Polizist Strafford au

Vermisst in Kopenhagen - Narbenherz

  Der Tite von Anne Mette Hancock zweiten Roman um die Investigativjournalistin Heloise, "Narbenherz", ist schon ziemlich passend: Denn irgendwie sind fast alle Figuren des Buches beschädigt oder bechädigen andere. Beziehungen bröckeln, Familienbande sind angespannt, ein Kind wird vermisst und auch beruflich befasst sich Heloise mit einem zu dieser Stimmung passenden Thema: Eigentlich will sie eine Geschichte über traumatisierte Soldaten schreiben, hofft auf Input ihrer besten Freundin, einer Psychologin beim Militär. Doch ihre Chefs haben andere Vorstellungen: Ein zehnjähriger Junge ist verschwunden, Kopenhagen ist in Aufregung, um so mehr, als die Jacke des Kindes in einem vereisten See gefunden werden, mit Blutflecken. Heloise ist mit dem leitenden Ermittler befreundet, und die Chefredaktion hofft, dass diese Beziehung bedeutet, dass Heloise an Exklusivinformationen gelangt. Tatsächlich kann sie es sich nicht verkneifen, bei einem Abendessen im Haus ihres väterlichen Freun

Zwischen allen Fronten . "Wild Card"

  Weston Kogi ist Yoruba und in dem fiktiven westafrikanischen Staat Alcacia (Nigeria lässt grüßen!) geboren. Doch seit  seine Tante Blossom ihn und seine Schwester als Teenager in ein Flugzeug nach England gesetzt hat, um die Geschwister in Sicherheit vor politischen Unruhen zu bringen, ist einige Zeit vergangen. Weston mag Afrikaner sein, doch er fühlt sich als Südlondoner. Nun muss er aber zurück in die ursprüngliche Heimat: Die Tante ist gestorben, und Weston  kann auf der Beerdigung nicht fehlen, Nur ein paar Tage, so hat er sich vorgenommen. Doch dann kommt für den Ich-Erzähler in Tade Thompsons Roman "Wild Card" alles ganz anders. Weston gehört nicht zu den Diaspora-Afrikanern, die sich nach den fernen Wurzeln verzehren. Sein Yoruba ist holprig geworden, und schon die Ankunft auf dem Flughafen empfindet er als eher herbe: "Niemand hieß einen in Ede City willkommen; man wurde lediglich darüber in Kenntnis gesetzt, dass man gelandet war, dann musste man selbst sehen

Ermittlungen in der kleinen Stadt am Rhein - Die Akte Adenauer

 Philipp Gerber ist Amerikaner - aber geboren wurde er als Deutscher. Seine Familie emigrierte in den frühen 30-er Jahren in die USA, weil sie unter den Nationalsozialisten keine Zukunft sah. Gerber kämpfte nicht nur in der US-Army, er war wegen seiner Deutschkenntnisse auch beim Militärgeheimdienst. Nun aber, es ist das Jahr 1953 und der Kalte Krieg im vollen Gang, bekommt er innerhalb von Stunden einen deutschen Pass und einen neuen Job beim noch jungen Bundeskriminalamt in Bonn. Offiziell soll er die Nachfolge eines bei einem Unfall getöteten Kollegen antreten. Inoffiziell soll er herausfinden, woran dieser Kollege gearbeitet hatte. Denn auch der hatte für den Militärgeheimdienst gearbeitet.... Gerber stößt bei seinen neuen Kollegen auf Misstrauen - zum einen, weil sein prompter Wechsel zum BKA als Protektionismus gesehen wird, zum anderen, weil in den deutschen Sicherheitsbehörden längst noch alles nicht so demokratisch ist, wie behauptet wird. Im Gegenteil - unter seinen Kollegen

Eine Nacht und eine Million Tragödien

 2021 hat sich bisher als gutes Bücherjahr erwiesen - und mit Chris Whitakers Roman "Von hier bis zum Anfang" habe ich gerade ein weiteres Buch mit Wow-Effekt beendet, das sicher noch eine ganze Weile nachhallen wird. Das liegt an zwei Gründen - an Whitakers Schreibstil, der manchmal klingt wie aus einem Chandler-Roman der Noir Serie ("Wenn Häuser Seelen hätten, wäre das von Star so schwarz wie eine Dezembernacht"), manchmal sowohl spröde als auch poetisch schreibt. Und an einer der Protagonistinnen, der 13-jährigen Duchess. Das Mädchen, das nicht weint und sich als Outlaw sieht, das sich nichts gefallen lässt und liebevoll den kleinen Bruder Robin umsorgt, da die alleinerziehende Mutter Star der beiden ihr Leben nicht in den Griff bekommt. Das Unglück der Familie hat eine Vorgeschichte: Als Star 15 war, starb ihre kleine Schwester. Verantwortlich für den Tod ist Stars damaliger Freund Vincent - und auch wenn es sich um einen tragischen Unfall handelte, den er selbs

Das Böse aus dem Chemielabor - "Das perfekte Gift"

 Nur in James Bond-Filmen ist die Welt der Agenten stylish, elegant und spektakulär, möglicherweise sogar mit Begriffen von Gut und Böse arbeitend.  In den Romanen eines John Le Carré kommt das Milieu der Schlapphüte schon wesentlich desillusionierter daher und es ist wohl kein Zufall, dass happy ends in seinen Büchern eine Seltenheit sind. Sergej Lebedew hat mit seinem Roman "Das perfekte Gift" die Welt der Gegenspieler des "Circus" in den Mittelpunkt gestellt.  Auch wenn es sich nicht um einen klassischen Agententhriller handelt, geht es um die Geheimdienste und ihre Diener - seien es Wissenschaftler, die sich in den Dienst des Systems stellen, seien es die Vollstrecker und Folterknechte, die für die "wet operations" zuständig sind. In diesem Buch sind die wahren Killer allerdings klein, unscheinbar und aus den geheimen Forschungslaboren entnommen. Lebedew zeigt in seinem mit 263 Seiten eher schlanken Roman den langen Schatten Stalins, doch zugleich  hat

Pasta, Mafia und Entscheidungen - Der Tintenfischer

 Bei aller Spannung läuft beim Lesen von "Der Tintenfischer" immer wieder das Wasser im Munde zusammen. Denn die Autoren Wolfgang Schorlau und Claudio Caiolo sparen nicht mit Essen und Trinken. Immer wieder muss Commissario Morello ein starker Espresso auf die Sprünge helfen und bei den Besprechungen mit seiner Kollegin Anna Klotze ist immer wieder frische Pasta angesagt. Der sizilianische Polizist, der sich in Venedig im ungeliebten Exil fühlt, will seiner Heimat wenigstens in der Küche verbunden bleiben. Der Leser schnuppert und schmeckt mit. Doch "Der Tintenfischer" hält sich nicht nur beim guten italienischen Essen auf. Hier steckt auch viel Aktualität drin. Nicht nur, weiles um organisierte Kriminalität, Menschenhandel und die Netzwerke der Schleuserbanden geht. Auch die Coronapandemie wird in die Handlung eingebaut, sei es mit dem gerade zu Ende gehenden Lockdown in Italien und den allgegenwärtigen Masken, sei es mit Corona-Betrügern, die in der Krise alte Men

Packender Thriller und menschliche Abgründe - Tiefer Fjord

  Eine Rezension über Ruth Lillegravens Buch "Tiefer Fjord" zu schreiben, ist nicht ganz einfach - und das liegt keineswegs daran, dass mit dem Buch etwas nicht stimmt, im Gegenteil. Es hat mich von Anfang an gefangen genommen und in Atem gehalten. Doch wie über die Essenz dieses Romans zwischen Thriller und Krimi schreiben, ohne zu spoilern? Denn ein "Whodunnit" ist dies keineswegs, sehr schnell schon ist klar, wer für mehrere Todesfälle verantwortlich ist. Doch wer muss noch dran glauben, wer ist wem auf der Spur und wie werden sich Liebe, Schuld, Loyalität und Verrat schließlich auseinanderdividieren? Der Titel ist jedenfalls Programm. Nicht nur, weil ein Fjord in Westnorwegen sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart der Romanhandlung eine Rolle spielt, es geht auch um innere Abgründe in einer scheinbar heilen Welt, um Schuldzuschreibungen und Sterotypisierungen, um glatte Fassaden und politische Ränkespiele. Insofern ein sehr skandinavischer Krimi,

Von Ostfriesland ins organisierte Verbrechen - Rupert Undercover

 Ich gebe es ja zu: Beim ersten Buch von Klaus-Peter Wolfs "Rupert Undercover" habe ich ziemlich gemeckert. Der Spin-Off zu den Ostfriesland-Krimis um Ann Kathrin Klaasen und Frank Weller, der sich um den schrägen Möchtegern-Macho Rupert drehen sollte, war mir viel zu Klaasen-lastig.  Gewissermaßen weder Fisch noch Fleisch, oder weder Matjes- noch Krabbenbrötchen, wobei da viel Potential in der Gesamtidee und den neu hinzukommenden Figuren war. Band zwei der Undercover-Mission ("Ostfriesische Jagd") hat mich nun aber überzeugt.  Während es im ersten Teil noch recht viel Realsatire bei den Versuchen Ruperts gab, einen Gangsterboss zu impersonisieren, fällt jetzt trotz gelegentlicher Schmunzelmomente das Slapstickhafte weg: Rupert hat in seine Rolle hineingefunden, und der Autor verzichtet auf Klaasen/Weller als rettende Kavallerie, sondern lässt sie tatsächlich nur als Randfiguren auftreten. So hat der eigentliche Plot viel mehr Entfaltungsmöglichkeiten und das ganze

Das Herz der Dunkelheit schlägt auf der Ferieninsel

  Seit seine 16 Jahre alte Tochter Emme vor vier Jahren während eines Urlaubs mit zwei Freundinnen auf der Ferieninsel Mallorca verschwand, ist der ehemalige schwedische Polizist Tim Blank ein Besessener. Er hat die Arbeit aufgegeben, ist nach Mallorca gezogen, sucht nach seiner Tochter. Anders als die Ermittler will er nicht aufgeben und er will auch nicht loslassen. Die Suche des verzweifelten Vaters, der selbst immer tiefer in einem Strudel von Alkohol, Gewalt und Korruption versinkt hat Mons Kallentoft  bereits in seinem Roman "Verschollen in Palma" erzählt.  Nun ist "Das dunkle Herz von Palma" als Fortsetzung erschienen und es ist vielleicht sogar noch düsterer, auch wenn die Beziehung zu seiner Frau wieder stabiler, wenn auch keineswegs unkompliziert geworden ist. Denn die beiden haben eine kleine Tochter - doch es ist ein Familienleben auf Distanz. Tim hält Frau und Tochter auf Abstand, scheint es schon für mangelnde Loyalität gegenüber Emme zu empfinden, wen

Zwei Gegenspieler und ein politischer Kampf

  Als W.B. Yeats über irischen Nationalismus und den Osteraufstand von 1916 schrieb, da geschah das überaus poetisch ("A terrible beauty is born"). Doch ehe es den Osteraufstand gab, ehe es die IRA gab, gab es im 19. Jahrhundert die Fenians, die gegen die britische Herrschaft in Irland kämpften - auch in den irischen Communities fern der grünen Insel.  In seinem Roman "Der Abstinent" schreibt Ian McGuire über den irischen Freiheitskampf aus ungewöhnlicher Perspektive mit viel hartem, düsteren Realismus. Schrecklich ist hier vieles, doch Schönheit sucht man vergebens in dunklen stinkenden Gassen, Besäufnissen, Gewalt. James O´Connor ist katholischer Ire und Polizist in Manchester - damit ist er überall ein Außenseiter: Für die Iren ist er ein Verräter, für die englischen Kollegen einer, dem sie nicht wirklich trauen. Nach dem Tod seiner Frau hat O´Connor den Halt verloren, ist Alkoholiker geworden. Die Versetzung nach Manchester war auch ein Versuch der Vorgesetzten

Staatschützer auf der Spur eines Serienmörders - Gelobtes Land

 Spannend ist es einmal mehr im dritten Teil der "Shalom Berlin" Serie von Michael Wallner um den jüdischen Ermittler Alain Liebermann, "Gelobtes Land".  Waren die vorangegangenen Bände vor allem Politthriller, geht es hier mehr noch als zuvor um Familie - zum einen die große, über Länder und Kontinente verzweigte Familie der Liebermanns, deren Matriarchin Alains Großmutter Helene ist, aber auch um gebrochene Familien, zerstörte Familien, Familiengeheimnisse. Alain will eigentlich Verlobung feiern, als er zu einem Tatort gerufen wird: Ein toter Junge ist gefunden worden. Hier beginnt leider auch der unlogische und unglaubwürdige Teil des Buches, des Alain ist schließlich beim Staatsschutz. Nicht politisch motivierte Kriminalität, einschließlich Kapitalverbrechen, sind überhaupt nicht sein Bereich. Es ist ja auch keineswegs so, als habe der Staatsschutz gegenwärtig wenig zu tun und könne andere Abteilungen unterstützen. Aber dann: Auch ein MEK als eigene Spezialeinhe

Gelungene Fortsetzung - "Die Spur der Grausamkeit"

 Es ist noch gar nicht so lange her, dass ich den ersten Teil von Veronika Ruschs historischer Krimi-Reihe um Josephine Baker gelesen habe. Da mich das Buch voll überzeugt hat, war ich ausgesprochen angetan, dass nach so kurzer Zeit bereits Band 2 erschienen ist. Um es gleich vorweg zu sagen - meine Erwartungen wurden nicht enttäuscht, die Fortsetzung der Geschichte um den Berliner Boxer Tristan Nowack, der nach den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs seine adelige Identität abgelegt hat, um die berühmte Varieté-Künstlerin Baker, den "roten Grafen" und Madam Fanny und ihre leichten Mädchen  ist gelungen. Auch wenn die Handlung immer wieder ins Berliner Scheunenviertel wechselt, spielt der Großteil von "Die Spur der Grausamkeit" in Wien, etwa zwei Jahre nach dem ersten Buch und damit Ende der 1920-er Jahre. Die nationalistischen und faschistischen Strömungen machen sich auch in Österreich bemerkbar, wo Tristan die Premiere von Josephine Baker´s Gastspiel besuchen will.