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Showing posts from August, 2024

Wer macht Jagd auf die Slow Horses?

  Wenn Mick Herron seine "lahmen Gäule" in ein neues Rennen schickt, ist eines klar: spannende Unterhaltung gewürzt mit schwarzem britischen Humor und intriganten Politikern, die irgendwie sehr an tatsächlich existierende Persönlichkeiten erinnern, ist garantiert. Und man sollte die einzelnen "slow Horses" besser nicht zu lieb gewinnen, denn schon in den vorangegangenen Bänden um die Parias des britischen Inlandgeheimdienstes MI5 war die Überlebensquote nicht so toll.  Niemand dürfe sich sicher fühlen, bestätigte Autor Herron denn auch im Interview. Vielleicht mit Ausnahme von Jackson Lamb, dem ständig missgelauntem Herrn des "Slough House" - soviel Zynismus, politische Unkorrektheit und reptilienartige Verschlagenheit ist schließlich schwer zu ersetzen. Wobei auch Diana Taverner, Oberintrigantin und endlich auch oberste Chefin beim MI 5, ihm in letzterem kaum nachsteht. In "Slough House" werden treue Leser*innen allerdings ein paar Namen aus der

Männerfreundschaften, Macht und Business in Wien

 "Freunderlwirtschaft", das klingt im Österreichischen so viel charmanter als "Klüngel", aber es geht um das gleiche Prinzip in Petra Hartliebs gleichnamigen Wien-Krimi, eigentlich Politkrimi. Gleich der ersten Fall der neu ernannten Leiterin der Wiener Mordkommission, Alma Oberkofler, hat es in sich. Es ist nicht die übliche aus den Fugen geratene Streiterei im Milieu oder Beziehungstat, nein, der junge, gutaussehende Landwirtschafts- und Tourismusminister wird tot in seiner schicken Penthousewohnung gefunden. Ein Unfall, ein eskalierter Streit, eine geplante Tat? Fragen könnte vielleicht die Verlobte des Toten beantworten, als Pressesprecherin der Wirtschaftsministerin selbst Profi im Politikbetrieb. Doch die ist verschwunden und offenbar bewusst abgetaucht, nachdem sie erst das Maximum an Bargeld von einem Geldautomaten abgehoben, ihr Handy zerstört und ihren Wagen auf dem Parklplatz eines Einkaufszentrums stehen gelassen hat. Manches kommt Alma in diesem Fall, i

Clicks, Populismus und ein verschwundenes Mädchen

 Mit seinem Thriller "Views" sorgt Marc-Uwe Kling für Spannung mit aktuellen Bezügen. BKA-Ermittlerin Yasira Saad leitet die Ermittlungen im Fall einer verschwundenen 16-Jährigen. Was zunächst nicht zu alarmierend gesehen wird - es kommt schließlich immer wieder vor, dass rebellierende Teenager nach einem Streit zuhause für ein paar Tage verschwinden - bekommt Brisanz, als ein verstörendes Video auftaucht, dass eine brutale Gruppenvergewaltigung der jungen Frau durch mehrere dunkelhäutige Männer zeigt. Das Video geht viral, schnell kocht die populistische Volksseele, eine Gruppe namens Aktiver Heimatschutz bildet sich und will die Täter, oder gleich Afrikaner überhaupt jagen. Die Initialen kommen nicht von ungefähr. Und mit der libanesischstämmigen Ermittlerin wollen auch die Innenministerin und die Behördenleitung ein Gesicht vorweisen können, das eben kein alter weißer Mann ist. Yasira und ihr Team geraten immer mehr unter Druck, je mehr populistische Strömungen die Tat auf

Nonne jagt den Feuerteufel

 Schwester Holiday, Mitglied eines kleinen Konvents von nur vier Nonnen in New Orleans und kurz vor ihrem "ewigen Gelübde", ist nicht gerade die typische Braut Christi. Zwar stammt sie aus einer streng katholischen Familie und ist tief gläubig, andererseits hat sie eine Vergangenheit als lesbische Punkrockerin, ist vom Hals abwärts ganzköpertätowiert und hat bei der Kombination Sex, Drugs & Rock nichts anbrennen lassen. Mit Schwester Holiday hat Margot Douaihy mit ihrem Kriminalroman "Verbrannte Gnade" eine ungewöhnliche Protagonistin geschaffen. Die Entsagung von weltlichen Freuden, die sie bis dahin so lustvoll genossen hat, ist für Holiday auch ein Stück Wiedergutmachung für eine vergangene schwere Schuld und der Versuch, innere Heilung zu finden. Statt barbusig auf der Bühne zu stehen, ist sie nun - der Tattoos wegen - im schwülheißen New Orleans verhüllt mit Halstuch und Handschuhen, unterrichtet Musik an einer katholischen Privatschule und versucht, sich i

Bandenkrieg in Malmö?

 Zwei Ermittler mit privat-beruflichem "Gepäck", der tragische Tod eines 13-Jährigen bei einem Drive by-Shooting in Malmö und ein Polizeiapparat voller Intrigen: "Tode, die wir sterben" von Roman Voosen und Kerstin Signe Danielsson ist ein gelungener Auftakt für eine neue Schwedenkrimi-Serie mit komplexen Plot und zwei gegensätzlichen Partnern, die sich noch zusammenraufen müssen. Svea Karhuu ist die Arbeit mit einem Partner nicht gewohnt - Jahrelang war sie als verdeckte Ermittlerin im Einsatz. Nachdem sie in Notwehr bei einem Undercover-Einsatz einen Kollegen tötete, wird sie gewissermaßen in Malmö geparkt, um aus der Schusslinie zu kommen, während interne Ermittlungen laufen. Zusammen mit dem langjährigen Mordermittler Jon Nordh soll sie den Tod des 13-jährigen Rashid aufklären.  Die Anzeichen weisen erst einmal auf einen Bandenkrieg hin - Der Junge geriet vor einer Pizzeria in die Schusslinie, in dem Lokal befanden sich zwei Gangmitglieder. Ein älterer Mann, der

Im Harz sind nicht nur die Hexen los

 Hamburgerin Ariane bricht zu neuen beruflichen Feldern auf, nach ihrem Volontariat die erste Festanstellung für die Mittvierzigerin. Dafür kehrt sie Ehefrau Katja, Hund Woodie und der Großstadt den Rücken, um im Harz bei der örtlichen Tourismusorganisation als Sensitivity-Managerin zu arbeiten. Allerdings in der Außenstelle in Düsterode, wo sie schnell merkt, dass sie dicke Bretter bohren muss - ihre neuen Kollegen verfrachten sie am ersten Arbeitstag als Hexe vom Dienst in eine fensterlose Kammer. Sieht also nicht so aus, als ob ihr Bemühen um mehr Diversity und politische Korrektheit auf fruchtbaren Boden fällt. Doch Ariane, die mit ihren Sneakern auf die Berge des Harz ähnlich gut vorbereitet ist wie ihre neuen KollegInnen auf das angestrebte Sensitivity-Programm, gibt nicht auf in "Harz aber herzlich" von Peter Godazgar und Alexandra Kui, Unverdrossen, Fußblasen und wundgescheuerten Fersen trotzend, erklimmt sie ihren ersten Harz-Gipfel um ein sexistisch umgestaltetes Wa

Ein Kriminalroman nach dem Zwiebelprinzip

  Mit "Furcht" hat der norwegische Autor Sven Petter Ness einen Kriminalroman geschrieben, der nicht nur zwischen Oslo und Edinburgh wechselt und dabei zwei Ermittlungsteams in den Focus stellt, das Buch hat auch etwas von einem Zwiebelprinzip oder einer russischen Matrjoschka-Puppe: Immer dann, wenn etwas klar erscheint, steckt dahinter nur die nächste Frage, das nächste Geheimnis - und das konsequent bis ganz zum Schluss. Es ergibt sich also so manche überraschende Wendung. Mit Harinder Singh ist der Protagonist nicht ganz der typische blonde, blauäugige Skandinavier, auch wenn er in Norwegen als Sohn eines indischen Einwanderers geboren wurde. Erwahrungen mit Alltagsrassismus werden allerdings nur eher nebenbei erwähnt, und wenn Singh in seiner Ermittlereinheit aneckt, dann hat das eher mit seiner Hartnäckigkeit zu tun, die von Vorgesetzten manchmal auch als Sturheit oder Eigensinn ausgelegt wird. Singh ist zunächst einmal als besorgter Verwandter unterwegs: Seine Nichte A

Hochzeit mit Mordermittlungen

 Hochzeitsvorbereitungen können schon unter normalen Umständen stressen. Polizeichefin Katze Burkholder in einer Kleinstadt in Ohio bekommt mit gleich zwei Morden wenige Tage vor ihrer Hochzeit in Linda Castillos "Zorniges Herz" gleich im Doppelpack mehr Arbeit, als sie eigentlich gerade gebrauchen konnte.  Wieder einmal stellt Castillo Burkholder, die früher zu den Amischen gehörte und nun ein ambivalentes Verhältnis zu der Religionsgruppe hat, in den Mittelpunkt. Dabei fließt dank der Hochzeitsvorbereitungen noch mehr "Privates" als ohnehin in den mittlerweile 14 Vorgängerbänden ein. Der Tod eines 21 Jahre alten Amischen während seiner "Rumspringa" wirft Rätsel auf: Ersten wurde er grausam mit einer Armbrust getötet - eine nicht ganz übliche Mordwaffe. Zweitens galt der junge Mann als allseits beliebt, hilfsbereit und sympathisch. Wer kann ihn so gehasst haben? Der zweite Mordfall betrifft eine junge Frau, übel zugerichtet und, wie sich herausstellt, Tei

Ein Junge verschwindet

  Für Leser*innen meiner Generation ist der Schwedenkrimi "Den Tod belauscht man nicht" von Ninni Schulman eine Rückkehr in die Jugend - er spielt in den 80-er Jahren, einer Zeit von Walkman und MixTapes - Streaming und Spotify gab es ja nicht. Mit Ingrid Wolt ist die Protagonistin eine interessante Figur: Eine Ex-Polizistin, frisch aus der Haft entlassen wegen versuchtem Totschlag.  Fernab ihrer alten Heimat Stockholm versucht sie in einem Dorf nahe der Kleinstadt Vamhus einen Neuanfang. Zum einen hofft sie auf einen Ort, an dem niemand ihre Vergangenheit kennt, zum anderen hat sie Angst, dass ihr gewalttätiger Ex-Mann Kjell, den sie damals niedergeschossen hat, sie ausfindig macht, um sich zu rächen. Vor allem aber hofft sie, wieder das Sorgerecht für ihre kleine Tochter Anna zu bekommen, die in den vergangenen Jahren in einer Pflegefamilie lebte - einer Pflegefamilie, der wenig daran gelegen scheint, dass Ingrid schnell wieder Kontakt zu dem Mädchen bekommt. Und auch die K