Skip to main content

Ohne Vorkenntnisse getrübtes Lesevergnügen - Lang taucht ab

Ein buchstäblich nach der Wahl abgetauchter Landrat, der später als Wasserleiche im Ammersee wieder auftaucht und eine Rentnergruppe samt Klatschjournalistin als Ermittler in Gang setzt - der Klappentext von "Lang taucht ab" hatte durchaus positive Erwartungen geweckt. An einen Cozy Krimi mit liebenswert skurrilen Figuren und eingebettet ins Regionalkrimi-Setting - Unterhaltungsliteratur eben für einen entspannten Abend. Doch auch wenn manche der Romanfiguren durchaus in dieses Raster passten, hat mich das Buch von Thea Fischer aus gleich zwei Gründen enttäuscht:

Der Ammersee-Roman ist Teil einer Serie. Klar, Leser, die schon an den ersten Bänden Gefallen haben und treu durch die nächsten Bücher gefolgt sind wissen mehr. Serien sind ja auch eine Art Leserbindung. Aber dabei wäre schon wünschenswert, dass jedes Buch so in sich abgeschlossen ist, dass Wiederholungsleser zwar Wiedererkennungspunkte haben, aber auch Quereinsteiger beim Lesen nicht über Zusammenhänge stolpern, von denen sie gar nichts wissen können.

Vorauszusetzen, dass sich die Leser Band für Band zum aktuellen Buch vorgearbeitet haben, kann vielleicht nur für die erste Harry Potter-Fangeneration gelten. Wer, vielleicht wegen eines entgangenen Ammersee-Urlaubs, spontan zu "Lang taucht ab" gegriffen hat, wird wenig Freude an seitenlangen Hinweisen auf ein Vorgängerbuch (oder gar mehrere?) empfinden. Ich will schließlich wissen, worum es in DIESEM Buch geht und die Charaktere kennenlernen, nicht mich durch ihre Flashbacks arbeiten.

Zweiter Kritikpunkt: Spätestens nach drei Vierteln des Buches ist dem Leser klar, wer den Landrat auf dem Gewissen hat und warum. Die restlichen Seiten dümpelt das Buch der erlösenden Aufklärung entgegen.  Zu einem dauerhaften Spannungsbogen trägt das nicht bei.

Um aber nicht nur zu meckern, es gab auch Gelingendes: die schillernde Figur des ehrgeizigen jungen Mannes, der sich neu erfindet und in der bayrischen Provinz eine Polit-Karriere lostreten will - das hat schon was. Ebenso die kommunalpolitische Ränkeschmiede bei Kandidatenfindung, Wahlkampf und Strategie für die Zeit nach dem Wahlabend. Diese Buchabschnitte machen richtig Spaß beim Lesen.

Apart auch, das auf seine Entdeckung wartende Mordopfer selbst sprechen zu lassen. Elif Shafak hat das ja in ihrem wunderbaren Buch "Unerhörte Stimmen" ganz großartig umgesetzt. In "Lang taucht ab" erfahren wir so immerhin, dass der tote Landrat von blauem Samt als Fütterung seiner letzten Ruhestätte träumt.

Thea Fischer, Lang taucht ab
Aufbau Verlag, 2020
978-3-7466-3598-9

Comments

Popular posts from this blog

Neuer Fall und neue Liebe für Hulda Gold

 Anne Stern schickt mit dem Roman "Die Lichter der Stadt" die Hebamme Hulda Gold bereits zum sechsten Mal auf Ermittlungen im Berlin der 1920-er Jahre. Denn auch wenn das Aus der wechselhaften Beziehung zu einem Kriminalbeamten schon eine Weile her ist - Hulda kann es einfach nicht lassen, sich einzumischen, wenn einer ihrer Schützlinge in Not scheint.  Dabei ist "Fräulein Gold" selbst alleinerziehende Mutter. Seit dem Vorgängerroman "Rote Insel" ist sie zu einer  Frauenberatungsstelle am Nollendorfplatz gewechselt und trauert der Arbeit, ja Berufung, als Hebamme nach. Doch wie kann sie ihren geliebten Beruf bei Tag und Nacht ausüben, wenn sie auch noch die dreijährige Meta versorgen muss? Schon der Dienst in der Beratungsstelle kann kompliziert werden. In "Die Lichter der Stadt" ist mittlerweile das Jahr 1929 angebrochen. Um den Nollendorfplatz herrscht diverses, manchmal wildes Leben. Doch auch Liebe liegt in der Luft: Huldas väterlicher Freund

Mysogynie und perfekte Ehefrauen

 Hinter der perfekten Kleinstadtidylle kann die Ehehölle lauern. Doch die bekommt keiner mit, bis die junge Mutter Melissa in Carla Kovachs Thriller "Die letzte Stunde" im eigenen Heim brutal ermordet wird. Die Obduktion der Toten weckt bei der leitenden Ermittlerin Gina Harte Argwohn - Melissa weist Spuren von Misshandlungen auf, die auf mehr als einvernehmliche kinky Sexspiele mit Ehemann Darrel hinweisen. Harte, die selbst einen gewalttätigen Ehemann hatte, ist sofort alarmiert. Doch der erste Fall, den sie selbständig leiten darf, hat es in sich: Der Ehemann, den sie nur zu gerne als Tatverdächtigen sehen würde, hat ein Alibi. Der Täter scheint mit großer Umsicht vorgegangen zu sein, DNA-Spuren gibt es nicht und es verdichten sich Hinweise, dass er einen Schutzanzug getragen hat, ähnlich dem der Spurensicherer. Zudem finden die Ermittler ein Handy, das Hinweise auf eine Affäre der Toten gibt. Ist der Lover der Mörder, weil Melissa ihren Ehemann nicht verlassen wollte? Und

Tödliche Zugfahrt zur Weihnachtszeit

  Mit dem Titel "Mord im Christmas Express" hat Alexandra Benedict gleich das Thema und die Messlatte ihres Weihnachtskrimis hoch angesetzt. Denn wer denkt da nicht gleich an die britische Krimi-Queen Agatha Christie und den "Mord im Orient-Express", der Meisterdetektiv vor solche Herausforderungen stellt? Und der obendrein in gleich zwei Verfilmungen als hochkarätig besetztes spannendes Kammerspiel beeindruckte. Da werden jedenfalls gleich Assoziationen und Erwartungen geweckt. Die Herausforderungen, vor denen Benedicts Protagonistin Roz steht, sind nicht nur dem Fall geschuldet. Denn eigentlich ist die Polizistin frisch pensioniert. Farewell, Metropolitan Police, hello Ruhestand mit gerade mal 59 Jahren, dafür aber voller Vorfreude auf das Enkelkind, das schon bald geboren werden soll. Ein wenig hofft Roz, dass der neue kleine Mensch auch hilft, das Verhältnis zu ihrer Tochter zu entspannen. Die kam bei der alleinerziehenden Mutter häufig zu kurz, ganz abgesehen v