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Showing posts from June, 2024

Mehr Cozy als Scandinavia Noir

 "Weißglut" von Tobias Quast spielt zwar im hohen Norden, genauer gesagt in Finnland, ist aber dennoch eher cozy als Scandinavia Noir. Hängt vielleicht auch damit zusammen, dass der Autor Deutscher ist, wenn auch mit Finnland als zweiter Heimat. Ein deutsches Element liefert auch die Protagonistin, die Münchner Society Lady Sarah, die mit einer Auszeit in einem "Mökki", einem Ferienhaus an einem finnischen See, allem entkommen will: Dem schlagzeilenträchtigen Ehe-Aus, dem bevorstehenden Scheidungskrieg, den Geldforderungen ihrer Tochter und der Schickeria, die dank Illustrierten-Story weiß, dass sie von ihrem noch-Ehemann zugunsten einen 27-jährigen Schlagersternchens abserviert wurde. Danke, auf die öffentliche Demütigung kann sie verzichten. In Finnland kennt zwar niemand Sarah, aber Probleme begleiten sie auch in die Idylle am See. Nicht nur, dass sie erst mal im falschen und nicht sonderlich heimeligen Mökki absteigt, sie findet am Morgen auch eine Leiche. Und i

Jerusalem-Krimi um Tod eines Polizisten

 Kinny Glass arbeitet zwar bei der Polizei, mit Ermittlungen hat sie allerdings in der Regel wenig zu tun: Als Psychologin ist sie mehr für Supervision zuständig, aber auch Ansprechpartner für Polizeibeamte in schwierigen Lebenslagen, nach traumatischen Einsätzen usw. In Alfred Bodenheimers "In einem fremden Land" betätigt sie sich dann aber doch als Detektivin, denn der Chef der Bereitschaftspolizei, der sie noch wenige Tage zuvor aufsuchte und über Schlafstörungen klagte, die auch ein Hinweis auf Depressionen sein könnten, ist tot: Während eines Urlaubs auf Zypern stürzte er in eine Schlucht und sowohl die zypriotischen wie auch die israelische Polizei legen sich schnell auf einen tödlichen Unfall fest. Nach einem Gespräch mit der Witwe stößt Kinny allerdings auf Auffälligkeiten. Eine junge Polizistin, die einen autistischen jungen Palästinenser erschossen hat, sagt im Gespräch mit Kinny, sie habe den Anweisungen des nun toten Chefs gefolgt, proaktiv zu schießen, um Terrora

Sekten-Thriller aus den Südstaaten

 Abigail ist in einer streng konservativen, isoliert lebenden Baptistengemeinde aufgewachsen, man könnte sie auch als Sekte bezeichnen. Dort werden traditionelle Werte gepflegt: Die Männer sind die Ernährer der Familie, geben auch sonst den Ton an, die Frauen kennen nur die Rolle als Ehefrau und Mutter. Eine Berufstätigkeit von Frauen wird abgelehnt, Abtreibung und Homosexualität sind streng verpönt. Abigail hat nie gegen dieses Leben rebelliert, sie kennt es ja nicht anders. Ihre Welt gerät in dem Thriller "Die gehorsame Tochter" von Laure van Rensburg ins Wanken, als ihre Eltern beim Brand des Wohnhauses ums Leben kommen. Abigail ist die einzige Überlebende, die drei Jüngeren Geschwister waren zum Zeitpunkt des Unglücks im Haupthaus der Gemeinde. Doch war es ein Unglück? Abigail kann sich an nichts erinnern, hat einen Blackout, der mehrere Wochen zurückgeht. Sie wirkt wie versteinert, kann ihrer Trauer keinen Ausdruck geben. Und dann sind da noch die Flashbacks und Alpträum

Auftragskiller und Pantoffelheld

 Spätestens seit "Bullet Train" ist Kotaro Isaka auch einer westlichen Leserschaft bekannt als Autor fernöstlicher Spannung im Milieu der Auftragskiller, der Gewalt mit einem Hauch von Philosophie oder auch Humor zu verbinden weiß. Sein neues Buch "Der Profi" ist da keine Ausnahme  und erlaubt sogar ein kurzes Wiedersehen mit Lemon und Tangerine, dem Killer-Duo aus "Bullet Train". Auch eine Reminiszenz an die "Hornisse" gibt es. Vor allem aber geht es um Kabuto, der seine erfolgreiche Karriere als Auftragsmörder erfolgreich hinter dem eher langweiligen Alltag eines Angestellten im Vertrieb zu verbergen weiß.  Anders als seine mitunter als Alphamännchen auftretenden Kollegen wirkt er unauffällig, bescheiden. Auch im Privatleben erinnert nichts an seinen illegalen Broterwerb - Kabuto ist ein zurückhaltender Familienvater, ein bißchen auch ein Pantoffelheld, denn einen großen Teil seines Denkens bestimmen Überlegungen, wie er verhindern kann, dass s

Cold Case in Nordfriesland

 Ein toter Klient und ein Cold Case auf der Halbinsel Eiderstadt beschäftigt die Anwältin Fentje Jacobsen und den Journalisten Niklas John in ihrem dritten Fall von Eva Almstädts "Akte Nordsee"-Serie - diesmal mit dem passenden Titel "Das schweigende Dorf". Denn auch als Einheimische kommt Fentje so gar nicht bei ihren Nachforschungen voran, nachdem sie mitten in der Nacht ein Anruf im Schafstall ihrer Großeltern erreicht hat. Ein Mann stammelt, er brauche eine Anwältin - er glaube, er habe einen Mord begangen. Dann bricht das Gespräch ab. Die von Fentje verständigte Polizei ist zunächst sehr verschlossen, doch dann wird klar: In der Nacht starben in dem Dorf Helenendorf zwei Männer, die zuvor miteinander gezecht hatten. Der eine mit eingeschlagenem Schädel am Küchentisch, der andere erhängt am Treppengeländer. Selbstmord aus Reue für eine im Affekt begangene Tat? Niklas, den der Pressestaatsanwalt einen Blick auf den Tatort werfen lässt, hat sofort Zweifel, die Str

Kreuthners Privatfehde und die Leiche im Wald

   Die eher unorthodoxen Ermittler des Polizeireviers Miesbach am Tegernsee waren mir lange unbekannt geblieben, aber als ich vor zwei Jahren erstmals auf Andreas Föhr und seine Romanbesatzung um Kommissar Clemens Wallner und den Leonhardt Kreuthner stieß, war mir klar: Davon will ich mehr lesen. Einiges habe ich mittlerweile nachgeholt und als der neue Band "Totholz" erschien, war ich natürlich sofort interessiert. Wenn ich von unorthodoxen Methoden schreibe, ist vor allem Leo Kreuthner gemeint, der als Jugendlicher von einer Karriere als Autoknacker träumte und auch heute seine besten Freunde im mehr oder weniger kriminellen Milieu hat. Abgesehen von Manfred Wallner, dem 94 Jahre alten Großvater der Kommissars, der vielleicht einen Rollator braucht, aber es an Unternehmungslust mit Jahrzehnte Jüngeren aufnehmen kann.  Mit den nicht ganz so legalen Aktivitäten Kreuthners als Schwarzbrenner beginnt auch "Totholz" - denn mit Pippa Trautmann hat sich plötzlich Konkurr

Entführung aus dem Nobelinternat

 Mit Kindern hat Wirtschaftsspionin Eliza Roth-Schild ja eher nicht so viel zu tun. Ihr neuester Auftragsgeber in Marcel Huwylers "Der rote Spatz", ein Rüstungsindustrieller mit Wohnsitz in Monaco, lässt sie allerdings als angebliche Mutter auftreten, die Schweizer Nobelinternate unter die Lupe nimmt. Sein Sprössling, so ist er überzeugt, ist ein verweichlichtes Muttersöhnchen, der eine härtere Schule und Distanz zu der liebevollen Mama braucht. Neue Rolle, aber was tut man nicht alles für Geld, zumal Elizas Taxifahrer als nobler Chauffeur seine Belle Epoque-Phantasien bei der Recherche ausleben kann. Der Auftrag hat allerdings ein Nachspiel, als der Knabe aus dem Internat verschwindet und eine Lösegeldforderung auftaucht. Da sich die Direktoren diverser Internate an die Frau erinnern, die kurz zuvor einen Platz suchte und deren Fahrer sich auf mancher Sicherheitskamera verdächtig herumtrieb, rückt ein Spezialkommando der Polizei an und unterbricht Elizas Schönheitsschlaf.  D

Ehefrau unter Verdacht

 Ein brutal ermordeter Mann, eine Ehefrau mit Filmriss, Alkoholproblem und blutigem Kleid: Für manchen Ermittler ein klarer Fall. Der sensible Kriminalbeamte Dan Riley dagegen will in "Das Ehepaar gegenüber" von Anna-Lou Weatherly nicht das Offensichtliche glauben. Ja, der Tote hatte die Scheidung gewollt, hatte mit seiner Geliebten ein Kind und ja, die Ehefrau hatte ihm auf einer Nachbarschaftsparty betrunken eine Szene gemacht und Äußerungen gemacht, die durchaus als Morddrohungen gelten könnten. Einerseits. Andererseits: Die Frau wirkt magersüchtig, ist buchstäblich eine "halbe Portion" - wie soll sie die Kraft aufgebracht haben, die brachiale Tat zu begehen? Leser*innen wissen schon früh: In diesem Fall geht es auch um toxische Männlichkeit, um emotionale Abhängigkeit, um einen Narzissten, der Frauen nur als Spielzeug betrachtet hatte. Laura, die unter Verdacht stehende Ehefrau, kann sich an nichts erinnern, Wodka, Rotwein und Prosecco sei Dank. Doch sie ist sic

Justizkrimi mit aktuellem Plot

 Der nunmehr vierte Justizkrimi von Michael Tsokos (Rechtsmediziner) und Florian Schwiecker (Ex-Strafverteidiger) hat mit dem Einsatz künstlicher Intelligenz in der Medizin einen aktuellen Aufhänger. Der Berliner Rechtsanwalt Rocco Eberhardt vertritt in einem aufsehenserregenden Strafprozess eine Ärztin, deren Patient während einer Routineoperation an einem anaphylaktischen Schock starb. Die Staatsanwaltschaft  wirft der Medizinerin fahrlässige Tötung vor, Tod aufgrund eines Behandlungsfehlers.  Das besondere an diesem Fall: Das Krankenhaus setzt bei der Erstellung von Operationsplänen auf ein KI-Programm, die Angeklagte selbst hat sich in Talkshows als Fürsprecherin für den KI-Einsatz in der Medizin hervorgetan. Hat letztlich die KI Schuld am Tod des Mannes und eine falsche Empfehlung abgegeben? Wieso ist die in der Anamnese bekanntgewordene Allergie des Patienten nicht berücksichtigt worden?  Der Fall erregt nicht nur öffentliche Aufmerksamkeit, sondern weckt auch den Erfolgshunger e

Wer hat Hass auf Seenotretter?

 Ben Kitto, der Protagonist von Kate Penroses Serie über einen Polizisten auf den Scilly-Inseln, ist eigentlich bereits gut ausgelastet - nicht nur durch den Polizistenjob. Seit ein paar Monaten sorgt Söhnchen Noah für Trubel und kurze Nächte, die Hochzeitsvorbereitungen nähern sich dem Höhepunkt. Trotzdem findet Kitto noch Zeit, sich bei der Seenotrettung zu engagieren - vielleicht auch ein Stück Vergangenheitsbewältigung, schließlich ist sein Vater auf seinem Trawler im Sturm gesunken, als Kitto noch ein Kind war. Doch ausgerechnet die Seenotretter scheinen im Visier eines Unbekannten zu sein. Nicht nur bekommen mehrere Mitglieder der Gruppe seltsame Botschaften mit Galgenmännchen und Shakespeare-Zitaten. Ein Mitglied, das erst wenige Monate zuvor mit einer Ehrenmedaille ausgezeichnet wurde und Heldenstatus genießt, ist erst verschwunden und wird Tage später tot gefunden. Dann wird eine weitere Retterin vermisst. Irgend jemand, so scheint es, hat einen gewaltigen Hass auf die Seenotr

Kampf ums Kind - die Ex und die Jetzt

  Sarahs Leben ist seit einer Fehlgeburt aus den Fugen geraten: Anders als ihr Ehemann Gideon konnte sie die Trauer nicht überwinden, entwickelte psychische Probleme, die Ehe scheiterte - auch weil Sarah auf Scheidung drängte. Das Sorgerecht für die kleine Tochter Emily teilen sie sich, der Umgang ist weiterhin freundlich, auch als Gideon nach recht kurzer Zeit Charlotte heiratet - "die andere Ehefrau" eben, wie der Psychothriller von Nicole Trope heißt. Wie man es von der Autorin kennt, wechselt sie Zeitebenen und Perspektiven und konzentriert sich dabei auf Sarah und Charlotte, die beiden Frauen, die irgendwie auch Konkurrentinnen sind. Denn Charlotte, die ohnehin einen starken Kinderwunsch hat, ist begeistert von ihrer Stieftochter und will sie gewissermaßen für sich allein. Dass Sarah paranoide Halluzinationen zu haben scheint und nach einem Zwischenfall während Emilys Wochenendbesuch sich sogar in eine psychiatrische Klinik einweisen lassen muss, scheint es für Charlotte

Eine Buchhändlerin und ein Journalist ermitteln auf La Palma

 Ich habe mich für "Dunkle Verwicklungen auf La Palma" interessiert, weil ich mir eine Sommerlektüre mit ein bißchen Spannungen und Kanarenflair erwartet hatte, bin nach Beendigung des Buches des Autorenduos Flores & Santana aber nicht wirklich auf meine Kosten gegeben. Kulinarisches und Landschaftliches ist nett eingestreut, die Gerüche der Insel treten auch den Lesenden vor die Nase, insoferrn ist der sommerliche Urlaubsanspruch durchaus erfüllt, aber auch ein Cozy-Krimi sollte doch ein gewisses Grundmaß an Spannung bieten.  Der Mord an einem Bauunternehmer, die Aktivitäten einer Umweltgruppe - das würde doch dazu einladen, Spekulantentum, Overtourism, das Spannungsfeld von Ökologie und Ökonomie zu thematisieren. Ich konnte aber mit den überausführlichen Schwenkern zum Privatleben der ziemlich altbackenen Protagonisten nicht warm werden, die ohnehin mehr Zeit mit essen und trinken als mit ihrer eigentlichen Arbeit zu verbringen schienen. Die Ermittlungen sind dann volle