Skip to main content

Mehr Cozy als Scandinavia Noir

 "Weißglut" von Tobias Quast spielt zwar im hohen Norden, genauer gesagt in Finnland, ist aber dennoch eher cozy als Scandinavia Noir. Hängt vielleicht auch damit zusammen, dass der Autor Deutscher ist, wenn auch mit Finnland als zweiter Heimat. Ein deutsches Element liefert auch die Protagonistin, die Münchner Society Lady Sarah, die mit einer Auszeit in einem "Mökki", einem Ferienhaus an einem finnischen See, allem entkommen will: Dem schlagzeilenträchtigen Ehe-Aus, dem bevorstehenden Scheidungskrieg, den Geldforderungen ihrer Tochter und der Schickeria, die dank Illustrierten-Story weiß, dass sie von ihrem noch-Ehemann zugunsten einen 27-jährigen Schlagersternchens abserviert wurde. Danke, auf die öffentliche Demütigung kann sie verzichten.

In Finnland kennt zwar niemand Sarah, aber Probleme begleiten sie auch in die Idylle am See. Nicht nur, dass sie erst mal im falschen und nicht sonderlich heimeligen Mökki absteigt, sie findet am Morgen auch eine Leiche. Und ist für die Dorfgemeinschaft nicht nur die wahrscheinliche Mörderin, sondern wird auch gleich als heimliche Geliebte des Mannes gelabelt. Andere dagegen halten sie für eine Unterwelt-Russin. Und der ermittelnde Kommissar, der wie ein Klon des früheren Rennfahrers Mika Häkkinen aussieht und ständig Lakritze kaut? Sarah ist überzeugt, dass er nur darauf lauert, ihr Handschellen anzulegen. 

Also muss sie selbst rauskriegen, wer den Nachbarn ermordet hat, mit tatkräftiger Hilfe der volltätowierten Anhalterin Ilvi, die trotz hippen Aussehens mit Sprichwörtern der finnischen Tradition um sich wirft. Auf high heels stöckelt Sarah durch finnische Wälder und auf Mittsommerfeste, versucht Tatverdächtige zu ermitteln und kommt hinter so manches Geheimnis der teilweise exzentrischen Dorfgemeinschaft. 

"Weißglut" ist durchaus unterhaltsam, stellenweise in Richtung Klamauk, die Spannung hält sich allerdings in Grenzen. Im Grunde lebt das Buch von dem Kontrast der Luxusfrau in der eher kernigen naturnahen Umgebung und den Vorstellungen, die die Dorfbewohner von der Fremden haben. In einem zweiten Strang geht es um einen eher weltfremden und sozial isolierten Nachwuchswissenschaftler und seine Jagd nach einem Gegenstand, der die finnische Mythologie umschreiben könnte. Bis Sarah dahinter kommt, was das mit ihrer Mördersuche zu tun hat, hat der Roman ein paar Längen. Dennoch ein nettes Leseerlebnis mit ordentlich Skandinavien-Flair.


Tobias Quast, Weißglut

Harper Collins 2024

432 Seiten, 14 Euro

 9783365005606 

Comments

Popular posts from this blog

Neuer Fall und neue Liebe für Hulda Gold

 Anne Stern schickt mit dem Roman "Die Lichter der Stadt" die Hebamme Hulda Gold bereits zum sechsten Mal auf Ermittlungen im Berlin der 1920-er Jahre. Denn auch wenn das Aus der wechselhaften Beziehung zu einem Kriminalbeamten schon eine Weile her ist - Hulda kann es einfach nicht lassen, sich einzumischen, wenn einer ihrer Schützlinge in Not scheint.  Dabei ist "Fräulein Gold" selbst alleinerziehende Mutter. Seit dem Vorgängerroman "Rote Insel" ist sie zu einer  Frauenberatungsstelle am Nollendorfplatz gewechselt und trauert der Arbeit, ja Berufung, als Hebamme nach. Doch wie kann sie ihren geliebten Beruf bei Tag und Nacht ausüben, wenn sie auch noch die dreijährige Meta versorgen muss? Schon der Dienst in der Beratungsstelle kann kompliziert werden. In "Die Lichter der Stadt" ist mittlerweile das Jahr 1929 angebrochen. Um den Nollendorfplatz herrscht diverses, manchmal wildes Leben. Doch auch Liebe liegt in der Luft: Huldas väterlicher Freund

Transfrau gegen Racheengel - Schräger Krimi führt in die bayrische Provinz

 Transfrau Vicki Victoria steht nicht nur fest im Leben, sie bewältigt es auch auf Stiletto-Absätzen - egal ob sie als V-Frau der Münchner Polizei unterwegs ist oder als Unterhaltungskünstlerin. Doch nun droht Ungemach in der Münchner Dachgeschosswohnung, wo Vicki sich nach einer eher freudlosen Jugend in der niederbayrischen Provinz neu erfinden konnte. Denn Toni Besenwiesler, der sie in der Schule, damals noch äußerlich ein Junge, grausam drangsalierte, ist aus dem Gefängnis ausgebrochen - und er schwört Vicki Rache. Sie, so glaubt er, hat dafür gesorgt, dass er einen Mord verurteilt wurde, den er nicht begangen hat. Ich-Erzählerin Vicki, die Protagonistin in Gloria Grays schräg-ironischem Cozy Krimi "Zurück nach Übertreibling" weiß: Mit dem Besenwiesler Toni kann man nicht diskutieren. Bleibt also nur die Flucht, doch schon das Treffen mit Clan-Chef Ahmet, mit dem der Geflohene ebenfalls eine Rechnung offen hat, endet exklusiv. Und dann wird auch noch die befreundete Nachb

Zwischen Schwarzmarkt und Wirtschaftswunder - die im Dunkeln sieht man nicht

 Ewiggestrige und Vorwärtsblickende, Menschen, die die Vergangenheit verdrängen und solche, die von ihrer Last weiter geprägt sind - mit "die im Dunkeln sieht man nicht" hat Andreas Götz einen historischen Kriminalroman geschrieben, der im München des Jahres 1950 spielt und damit in einer Zeit voller Schnittpunkte: Die Bundesrepublik ist noch ganz jung, die Nachkriegszeit neigt sich dem Ende entgegen und werden nicht nur vom absehbaren Wirtschaftswunder, sondern auch vom kalten Krieg abgelöst. Noch gibt es den Schwarzmarkt, doch außer den Trümmern gibt es Neubauten, Moderne, Aufbruch,  Die einen wollen alles vergessen, die anderen können es nicht - so wie Karl Wieners, der im Krieg Frau und Kinder verloren hat und aus Berlin in seine Heimatstadt München zurückkehrt. Ein alter Schulfreund will ihn für eine neue Zeitschrift rekrutieren und hat auch gleich einen Reportageauftrag: Karl soll einen Kunstdiebstahl aus den letzten Tagen recherchieren, damals verschwand aus dem Münchn