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Auf Tauchstation im Bayou

  Mit schrägen Charakteren und überdrehtem Plot erinnert "Weg vom Schuss" von Jana deLeon ein bißchen an die Romane von Carl Hiaasen. Es gibt darin zwar weniger Kritik an Umweltzerstörung und sie spielen nicht in den Everglades von Florida, sondern in den Bayous von Luisiana, aber Alligatoren und Waschbären gibt es auch dort. 

Dabei hätte sich Fortune, CIA-Agentin und erfahren in allen möglichen Techniken des Tötens, nie vorstellen können, dass es sie einmal in ein verschlafenes Südstaatenstädtchen namens Sinful verschlagen könnte, und dann auch noch als angebliche Nichte ihres Chefs. Da ein Waffenhändler aus dem Nahen Osten jedoch einen Hit auf sie angeordnet hat und es peinlicherweise bei der CIA einen Maulwurf zu geben scheint, muss Fortune vorgeben, eine Ex-Schönheitskönigin und Bibliothekarin zu sein, dabei kann sie weder mit Büchern noch mit Mode viel anfangen. 

Als Sandra-Sue soll sie angeblich das Haus ihrer verstorbenen Tante inventarisieren, vor allem aber weit weg sein von allen Gegenden, in denen Auftragsmörder nach ihr suchen könnten. Und das dürfte in Sinful nicht der Fall sein, denn trotz des sündigen Namens ist das Städtchen fromm: Sonntags Kirchgang, die Frauen stricken und backen Kuchen, in die Kneipen außerhalb des Ortes gehen nur die Männer. Aufregung gibt es höchstens nach dem Kirchgang zwischen Baptisten und Katholiken bei Wettlauf um die begrenzen Bananenpuddingvorräte in Francine´s Diner. 

Kurzum, Fortune ist sicher, dass sie vielleicht nicht ermordet wird, sich aber zu Tode langweilen dürfte. Dass es dann ganz anders kommt, liegt zum einen an zwei alten Damen, die einige bemerkenswerte Talente haben und eine eigene Agenda zu verfolgen scheinen. Und zum anderen an dem Knochen, den der altersschwache Hund Bones, der ebenfalls zum Erbe von Sandra-Sues Tante gehört, ausgebuddelt hat. Ein Menschenknochen, wie Fortune auf Anhieb erkennt, auch in leicht angekautem Zustand. 

Damit wird Fortune in die Ermittlungen der alten Damen hineingezogen, denn die Knochen dürften einem vor fünf Jahren verschwundenen Ekelpaket namens Harvey gehören. Hauptverdächtig ist natürlich die Ehefrau - und die ist eine Freundin der alten Ladies und plötzlich verschwunden. Klar, dass die die Ermittlungen nicht dem örtlichen Deputy überlassen wollen!

Dank der Seniorinnen gerät Fortune in allerhand haarsträubende Situationen, macht unfreiwillig Bekanntschaft mit Sumpfwasser, Dobermännern und Harveys unsympathischen Cousin Melvin. Von wegen also, weit weg vom Schuss!  Nicht nur scheint in der überalterten Südstaatenkleinstadt jeder eine Waffe zu haben, trotz sonntäglichem Kirchgang gibt es ein ziemliches Gewaltpotenzial. Blutig geht es in diesem Cozy dennoch nicht zu, vielmehr stellt die Autorin genüsslich Agentenroman-Klischees auf den Kopf. Das Buch ist eher ein Angriff auf die Lachmuskeln und sollte nicht zu ernst genommen werden. Spaß hatte ich beim Lesen jedenfalls reichlich.


Jana deLeon,  Weg vom Schuss

Second Chances Verlag, 2024

284 Seiten, 14 Euro

9783948457143

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