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Südtirolkrimi vor Gletscherkulisse

 Von wegen Vollblutpolizist: Commissario Grauner ist zwar Mordermittler in Bozen, sein Herz hängt aber am Nebenerwerb als Viechbauer, an seinen 16 Kühen, dem Hof, und dem ruhigen ländlichen Leben. Lieber früher als später will er in den vorgezogenen Ruhestand gehen, den Hof an die Tochter übergeben und sich mit seiner geliebten Alba auf die Alm verziehen. Doch Grauner kommt gar nicht dazu, dem Staatsanwalt seine diesbezüglichen Wünsche mitzuteilen in Lenz Koppelstätters "Das Flüstern im Eis". Es gilt, einen Mord zu ermitteln, seinen letzten Fall, so hofft Grauner. 

Immerhin muss er dazu nicht in die verhasste Stadt, sondern in ein Südtiroler Dörfchen am Fuße des Ortlers. Der Leiter der dortigen Bergwacht ist dort tot aufgefunden worden, und die Mistgabel in der Brust macht es schwer, hier einen natürlichen Todesfall zu vermuten. Um sein Team zusammenzurufen, braucht Grauner nicht lange: Seine Mitarbeiter Tappeiner und Saltapepe sind bereits vor Ort, auf einer Hütte, um den Wettbewerb zweier Eiskletterinnen auf der Ortler-Nordwand zu verfolgen. Schließlich will Südtirolerin Tappeiner ihrem neapolitanischen Freund und Kollegen die Bergwelt schmackhaft machen.

Drama allerdings auch am Gletscher, denn die iranische Kletterin, die sich mit einer italienischen Konkurrentin den Wettkampf geliefert hat, ist zwar als erste am Gipfel, erreicht aber nicht die Talstation. Nur einer ihrer Eispickel wird nahe einer Gletscherspalte gefunden. Und nicht nur das - mit einem weiteren Toten schwillt die dörfliche Mordrate gewaltig an. Immerhin: Grauners landwirtschaftliches Know-How kommt unerwartete gelegen, den Kreis der Verdächtigen einzuengen. Saltapepe muss sich unterdessen Höhenangst, Felsen und ewigem Eis stellen, um Zeugen zu vernehmen. Immerhin kann der Hüttenwirt einen verdammt guten Espresso zubereiten. 

Worum es bei dem Plot geht, ließ sich zumindest teilweise früh erahnen. Das machte allerdings gar nichts und tat weder Spannung noch Lesevergnügen Abbruch, denn sowohl der unorthodoxe Grauner als auch der seinem süditalienischen Element enthobene Saltapepe  sind sympathische und sehr menschelnde Ermittler. Koppelstätter schreibt flüssig und lebendig und es macht Spaß, seinen Protagonisten buchstäblich durch Berg und Tal zu folgen.

Nicht zuletzt sind es die Naturbeschreibungen und die Faszination Bergsteigen, die in diesem Buch eine Rolle spielen, zusammen mit kernigen Bergführern, Schicksalsgemeinschaften auf sturmumtösten Hütten und Freundschaften, die Raum und Zeit überwinden. Mit dem Blick auf die Situation junger Frauen im Iran und die blutige Unterdrückung der Proteste - zuletzt mit dem Motto "Frau. Frieden. Freiheit" hat "Das Flüstern im Eis" auch einen unerwartet aktuellen Bezug.

Leon Koppelstätter, Das Flüstern im Eis

Kiepenheuer & Witsch 2024

256 Seiten, 13 Euro

9783462004755

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